Atomwaffen A-Z

Castle Bravo

US-Atomtest, 1. März 1954

Am 1. März 1954 um 06.45 Uhr Lokalzeit (18.45 Uhr am 28. Februar GMT) detonierte auf dem Bikini-Atoll in den Marshall-Inseln eine 15 MT (Megatonnen) große Wasserstoffbombe. Es war die größte von den USA initiierte oberirdische Nuklearexplosion - 1.000-fach stärker als die Hiroshima-Bombe. Die Bombe hatte den Codenamen „Bravo“ und wurde in einer Testreihe mit dem Codenamen „Operation Castle“ detoniert. Die Explosion war zweieinhalb Mal stärker als vorher berechnet und riss einen 76 Meter tiefen Krater mit zwei Kilometern Durchmesser in die Atollinsel Nam. Der Atompilz war nach einer Minute 15 km hoch und erreichte nach sechs Minuten eine Höhe von 40 km. Zwei Minuten später hatte der Atompilz einen Durchmesser von rund hundert Kilometern. Millionen Tonnen von Gestein, Korallen und Sand wurden bis zu 30 Kilometer hoch geschleudert und regneten Stunden später als radioaktive Asche auf die Bewohner*innen der östlich gelegenen Atolle, auf 25 Mitarbeiter*innen einer US-Wetterstation und einen japanischen Fischkutter nieder.

Der Wetterbericht sagte in den Tagen vor dem Test Westwinde voraus, was bedeutete, dass die Atolle westlich von Bikini gefährdet waren. Einige Stunden vor dem Test warnte die Wetterstation, dass der Wind gedreht hatte. Damit waren Alinginae, Rongerik und Rongelap direkt in der Verbreitungsrichtung des Fallouts. Trotzdem wurde der Befehl vom wissenschaftlichen Leiter der Testreihe „Operation Castle“ Dr. Alvin C. Graves gegeben, die Bombe zu zünden, ohne die Bewohner*innen zu evakuieren oder zu warnen. „Bravo“ wurde so auch zum Verstrahlungstest - vorsätzlich, wie inzwischen freigegebene Akten nahelegen.

Auf den noch bewohnten Atollen Rongelap und Rongelik spielten Kinder in dem atomar verseuchten Pulver, schmierten es sich auf Arme und Beine. Ihre Haut begann zu jucken und es bildeten sich schmerzhafte Blasen. Erst 48 Stunden nach der Detonation begann die Zwangsevakuierung der Inseln. Aber das war zu spät, die Menschen waren schwer verseucht. Auch weiter entfernt gelegene Atolle wie Ailuk waren schwer betroffen, wurden aber nie evakuiert.

Dr. Tilman Ruff beschrieb die Auswirkungen des Tests in einem Artikel für das International Review of the Red Cross:

„Zwei Inseln und ein Teil einer dritten wurden durch die Explosion verdampft, und der Fallout regnete auf die angebauten Lebensmittel, die Wasserreservoire, die Häuser, das Land und die Körper von Kindern, Frauen und Männern, die ihren Alltagsaktivitäten nachgingen. Kinder spielten mit dem unbekannten „Schnee” und rieben ihn sich in Haar und Haut. Die Bewohner*innen der Atolle von Rongelap, Ailinginae und Utrik wurden schließlich zweieinhalb Tage später evakuiert, nachdem sie fast tödliche Strahlendosen erhalten hatten, die höchsten nach einem Einzeltest in der Geschichte der atomaren Testexplosionen weltweit.“

Das National Cancer Institute traf in seiner Beurteilung 2004 die folgende Aussage – nach einem halben Jahrhundert weiterer Tests, Fallouts und dem schweren Reaktorunfall von Tschernobyl 1986:

„Die Dosen auf Rongelap und Ailinginae waren sehr hoch und lagen in einem Bereich, für den es kaum Erfahrungen bei der Dosiseinschätzung oder Beurteilung von Gesundheitsrisiken gibt.“

Im selben Bericht wurde geschlussfolgert, dass es in der Bevölkerung der Marshallinseln durch die Strahlenexposition aufgrund der Atomwaffentests 500 zusätzliche Krebsfälle geben würde, neun Prozent der Bevölkerung. Auf der Grundlage einer, wie es hieß, „sorgfältig überlegten Analyse”, korrigierte 2010 das National Cancer Institute seine Schätzung nach unten auf 170 zusätzliche Krebsfälle. Die korrigierten Dosisschätzungen im diesem Artikel, auf dem die niedrigere Schätzung beruht, sind viel niedriger als unabhängige Schätzungen oder sogar die eigenen Schätzungen des US-Energieministeriums.

Durch die Tests waren Menschen überall auf den Marshallinseln der Strahlung ausgesetzt, weit über die drei Inseln (Rongelap, Ailinginae und Utrik) hinaus, die von der US-Regierung zur medizinischen Überwachung anerkannt wurden. Nicht einmal Enewetak erhielt diese Anerkennung.

Ein japanischer Fischkutter, die Daigo Fukuryu Maru (Glücklicher Drache V), befand sich beim Bravo-Test am 1. März 1954 in der Nähe: die Besatzung erlitt ebenfalls hohe Strahlenbelastungen und akute Strahlenkrankheiten. Eines der Besatzungsmitglieder starb sieben Monate später, andere mussten ins Krankenhaus. Das war nicht der einzige Fischkutter, der 1954 kontaminiert wurde. Bei den Kontrollen, die Japan in jenem Jahr durchführte, wurde in den Laderäumen von 683 Schiffen kontaminierter Fisch gefunden: 457 Tonnen Thunfisch, die von japanischen Schiffen gefangen wurden, wiesen eine Kontamination auf, die über den damals geltenden Grenzwerten lag.

Der radioaktive Niederschlag ging um die halbe Welt – nach Australien, Europa und in die USA. xh

Bearbeitungsstand: Februar 2024

► Weitere Informationen zur Geschichte von Atomtests

Quellen:
Makhijani A, Ruff T: Auswirkungen von Atomtests auf Gesundheit und Umwelt, ICAN/IPPNW, 2023
Johnston BR, Barker H: The Rongelap Report: Consequential Damages of Nuclear War, Journal of Ecological Anthropology, 2008
Ruff T: The humanitarian impact and implications of nuclear test explosions in the Pacific region, International Review of the Red Cross, 2015

 

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