Atomwaffen A-Z

Geschichte


Haben Atomwaffen unsere Welt nicht sicherer gemacht - zumindest in den Zeiten des Kalten Krieges?

Niemand weiß, wie die Welt heute ohne Atomwaffen aussähe. Dass die Atombombe allerdings die Todesspirale beendet und uns einen langen Frieden beschert hat, ist eine hartnäckige Legende. Zwar ist Deutschland vom Krieg verschont geblieben, aber weltweit starben seit dem Ende des zweiten Weltkrieges Millionen Menschen in bewaffneten Auseinandersetzungen. Die offiziellen Atomwaffenländer USA und Russland haben trotz der „Wunder“waffe Kriege geführt. Es gab Dutzende Stellvertreterkriege, etwa in Lateinamerika und Afrika.

Außerdem: Eine Situation, in der in Westeuropa 7300 US-Atomwaffen stationiert waren - allein in Westdeutschland gab es mehr als 100 Depots mit tausenden Atomsprengköpfen und auch die DDR war voll mit sowjetischen Atomraketen - kann man kaum sicher und friedlich nennen. Mehrfach ist die Welt nur knapp dem Atomkrieg entgangen, sei es bei der Kuba-Krise 62, bei Unfällen wie in Heilbronn 1985 oder erst 1995 beim versehentlichen Start einer norwegischen Forschungsrakete, die von Russland missinterpretiert wurde.

Und heute? Das Plutonium, das wir im Namen der Abschreckung erbrütet haben, kursiert munter auf unserem Planeten – und bedroht nun uns, zum Beispiel in Form von schmutzigen Bomben. Einholen können wir dieses Material nicht mehr. Und auch zerstören können wir es nicht. Hunderte von Generationen werden mit diesem hochgefährlichen Waffenmaterial leben müssen. Das ist wohl kaum die Sicherheit, die sich die Menschen auf der Welt wünschen. (UW)

Hiroshima und Nagasaki


Wie hoch sind die Städte Nagasaki und Hiroshima heute noch strahlenbelastet?

Die Städte Hiroshima und Nagasaki sind sehr schnell nach der Zerstörung wiederaufgebaut worden. Heute leben dort wieder über 1,5 Millionen Menschen. Das Gebiet ist laut offiziellen Angaben glücklicherweise kaum mehr strahlenbelastet.

Das hat zwei Gründe: Erstens der Anteil der kurzlebigen radioaktiven Isotope ist in einer Atombombe besonders hoch, bzw. in der Atombombe vom Hiroshima-Typ.Zweitens: die langlebigen radioaktiven Isotope, die über tausend Jahre hinweg strahlen (etwa Plutonium), wurden im September 1945 von einem großen Taifun weggewaschen. Dieser große Taifun ging mit sinflutartigen Regenfällen einher und schwemmte alles weg. Das bedeutet nicht, dass diese radioaktiven Teilchen nicht mehr vorhanden sind oder nicht mehr strahlen, sie haben sich nur über Regen, Flüsse und Meere überallhin verteilt. Außerdem: die Hiroshima-Bombe wurde in circa 560 Meter Höhe gezündet. Durch die Winde und den Fallout wurde das Material von Anfang an über eine große Fläche verstreut. (UW)

Wie hoch ist die Gesamtzahl der Opfer beider Atombombenabwürfe, wenn man auch die Langzeiteinwirkungen mit einrechnet?

Laut japanischen Studien sind in Hiroshima 270.000 Menschen gestorben, in Nagasaki 130.000. Kritische Wissenschaftler gehen allerdings von höheren Opferzahlen aus.

Welche gesundheitlichen Folgen hat die mit den Bomben freigesetzte radioaktive Strahlung für die Überlebenden?

Bei vielen der unmittelbar Betroffenen haben sich Krebse und andere Folgerkrankungen entwickelt. Allerdings sind nur bestimmte Krebsarten aufgetreten, wie etwa Brust- und Blutkrebse. Das liegt daran, dass bestimmtes menschliches Gewebe anfälliger für Strahlung ist, als anderes. Nicht zuletzt sind diese Menschen psychisch schwer traumatisiert. Bei den ungeborenen Kindern, welche die Explosion im Mutterleib miterlerlebt haben, traten schwere geistige Behinderungen und Entwicklungsverzögerungen auf. Und dann gibt es noch die Kindes-Kinder. Die offiziellen Studien konnten zwar nicht belegen, dass es bei ihnen ebenfalls Häufungen von Missbildungen und genetischen Defekten gibt . Doch klagen die Kindes-Kinder gehäuft über schwere Erkrankungen. Deshalb wird jetzt eine neue Studie durchgeführt. (UW)

Gibt es heute noch bei Nachgeborenen genetische Defekte und Missbildungen, die auf den Atombombenabwurf zurückzuführen sind?

Diese Frage ist nur sehr schwer zu beantworten. Die offiziellen Studien geben keinen Hinweis darauf, dass in Hiroshima und Nagasaki häufiger Kinder mit Missbildungen geboren werden als in anderen japanischen Städten. Das heißt aber nicht, dass Eizellen und Spermien der Eltern nicht durch die Strahlung genetisch verändert wurden. Aber: Die Natur hat hier nur eine hohe Hürde eingebaut: Eizellen mit defekten Genen nisten sich haüfig erst gar nicht in die Gebärmutterschleimhaut ein oder werden sehr früh abgestoßen. Die betroffene Frau könnte im günstigen Fall nicht einmal bemerken, dass sie schwanger war und bekommt ihre scheinbar übliche Blutung.

Allerdings: Trotz dieser möglichen Erklärung zweifelt man das Datenmaterial aus Japan heute an vielen Punkten an. Die Auswahl der Studienteilnehmer an den von den USA finanzierten Studien gilt als nicht als repräsentativ. Viele Betroffene wurden im Nachhinein wegen unglaubwürdiger Aussagen wieder ausgeschlossen. Es wurden nur Betroffene bis zu einer Entfernung von 2,5 Kilometern vom Hypozentrum für die Studie zugelassen. Und die Untersuchungen starteten zudem erst Jahre nach dem Abwurf. Entscheidende Zeit wurde als verpasst. Häufig wurden auch falsche Todesursachen angegeben, weil es als Makel galt, Hiroshima-Überlebender zu sein. Denn: Hiroshima-Überlebende waren verstrahlt, man konnte sie der langläufigen Meinung nach nicht heiraten oder Kinder mit Ihnen bekommen. Aus diesem Grund ist auch zu vermuten, dass Hebammen oder Eltern Behinderungen bzw. Totgeburten nicht anzeigten.

Und: Die Kinder der Überlebenden klagen über vermehrte Krebserkrankungen und andere Krankheiten. Untersucht worden sind diese Phänomene lange Jahre nicht. Erst heute fängt man heute erneut an zu untersuchen, ob Kinder von Hiroshima-Überlebenden, Schäden entwickelt haben.

Eines allerdings wissen wir schon heute genau: Als Folge der Abwürfe kam es unmittelbar danach zu einer nicht genau bekannten Anzahl von Fehl- und Todgeburten. Und: Ungeborene Kinder, die im Mutterleib die Katastrophe erlebt haben, haben durchschnittlich einen geringeren Intelligenzquotienten als unbestrahlte Kinder und entwickelten sich langsamer. Viele Kinder wurden mit schweren geistigen Behinderungen geboren – in Abhängigkeit von der Höhe der Strahlendosis und dem zeitlichen Stadium ihrer embryonalen Entwicklung. Heute gibt es Hinweise darauf, dass bei diesen mittlerweile erwachsenen Überlebenden auch die Krebsrate erhöht ist. Allerdings ist das diesbezügliche Zahlenmaterial noch gering. (UW)

Wie gehen japanische Bevölkerung und Regierung mit den Opfern um?

Überlebende waren sehr lange stigmatisiert: Man hatte Angst sie zu heiraten, geschweige denn von ihnen Kinder zu bekommen. Oftmals haben Angehörige deshalb für Verstorbene nicht die richtige Todesursache angegeben. Dann haben die Überlebenden - die „Hibakushas“ - begonnen, sich in Verbänden zu organisieren und die Regierung hat den Langzeitgeschädigten eine Rente zugestanden. Außerdem werden regelmäßige medizinsiche Untersuchungen durchgeführt. Trotzdem bleibt die Bestrahlung ein Tabu-Thema. Erst kürzlich hat die japanische Regierung damit begonnen, Forderungen zur weltweiten Abrüstung zu stellen. Erstmals haben Politiker die USA aufgefordert, sich für die Bombenabwürfe zu entschuldigen. (UW)

Atomwaffen heute


Wie schätzen Sie die derzeitige atomare Bedrohungslage ein?

Die IPPNW hält sie für groß. Die Atommächte weigern sich nach wie vor abzurüsten. Die USA kündigte sogar die Entwicklung kleinerer Atomwaffen an, die sich besser für den Einsatz in konventionellen Kriegen eignen. Andere Atomwaffenländer wollen nachziehen Zudem streben immer mehr Länder nach der Bombe. Beispiel: Nordkorea und vielleicht auch der Iran. Heute ist es einfacher denn je an radioaktive Substanzen zu kommen - nicht zuletzt deshalb, weil die friedliche Nutzung der Atomenergie zur Weitergabe von Technologie und radioaktivem Material führt, die für eine Atombombe verwendet werden können.

Wie viele Staaten verfügen aktuell über Atomwaffen?

Neun Staaten: USA, Russland, Frankreich, Großbritannien und China haben den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet und sind anerkannte „Atomwaffenstaaten“. Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea sind so genannte „de-facto Atomwaffenstaaten“. Nordkorea hat zwei Atomtests durchgeführt. Ob das Land über einsatzbereite Atombomben verfügt, ist allerdings unklar. Israel hält seinen Atomwaffen-Status geheim.

In welchen Ländern - außer in den Atomwaffenstaaten - sind Atomwaffen stationiert?

Lediglich die USA stationieren Atomwaffen außerhalb ihres Territoriums und zwar in den NATO-Mitgliedsstaaten Deutschland, Belgien, Italien, Niederlande und der Türkei. Die genauen Orte und die Zahl der Atomwaffen unterliegen der Geheimhaltung. Durch Recherche und Gesprächen mit Experten ist es uns allerdings gelungen, die Orte und ungefähre Zahl einzuschätzen. In Europa gibt es rund 200 Atombomben vom Typ B-61, Mod. 3 oder 4. In Deutschland sind es ca. 20 Atombomben.

Wie groß ist die Gefahr, dass Terrorgruppen an Atommmaterial kommen?

Zur Herstellung einer effektiven schmutzigen Bombe, dabei handelt es sich um einen herkömmlichen Sprengsatz unter den radioaktives Material
gemischt wurde, braucht man große Mengen hochkonzentrierten Materials.
In Europa und Amerika funktioniert die Überwachung so gut, dass man hier nicht an das Material kommt, aber wir wissen, dass es einen Schwarzmarkt für Atomwaffentechnologie gibt. Ein Problem ist hier Russland mit seinen enormen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, ein Problem sind Länder wie Pakistan, in der anscheinend Privatiers Plutonium verkauft haben. Ein anderes Problemfeld ist die friedliche Nutzung von Atomenergie, die zur Weitergabe von Technologien und radioaktivem Material führt, das wiederum zum Bau einer Atombombe verwendet werden kann. Wenn wir nicht weltweit Atomwaffen abrüsten und aus der friedlichen Nutzung der Atomenergie aussteigen, werden wir dieses Problem nciht in den Griff bekommen. (UW)

Wie hoch ist das Sprengpotenzial aller existierenden Kernwaffen im Vergleich zu den Atombomben von Hiroshima und Nagasaki?

Die Atombomben von Hiroshima (12,5 KT) und Nagasaki (22 KT) waren verhältnismäßig kleine Atombomben.  Bei den modernen Atomsprengsätzen handelt es sich um Wasserstoffbomben. Früher wurden Atomwaffen gebaut, die Explosionen bis hin zu einer Megatonnengröße erzeugen konnten. Heute hat der größte Sprengkopf (W-88) im US-Arsenal 455 KT Sprengkraft – fast eine halbe Megatonne. Allerdings tragen die Raketen oft mehrere Atomsprengköpfe. Eine Mk-5 Trident-Rakete trägt zum Beispiel vier W-88 Sprengköpfe. Die meisten Atomsprengköpfe sind heutzutage über 100 KT groß, einige haben eine wählbare Sprengkraft: Die B-61-Bombe mod 3 oder 4 zum Beispiel hat zwischen 0,3 KT und 170 KT. Russlands größte Atomwaffe kann bis zu 750 KT erzeugen. Zehn Stück sind auf der SS-18 montiert. Die Chinesen haben die größten Atomwaffen mit 3 bis 5 Megatonnen, allerdings tragen ihre Raketen immer nur ein Stück.

Eine Megatonne ist 1000-mal größer als eine Kilo-Tonne. Sie entspricht der Sprengkraft von eintausend Tonnen TNT. Zum Vergleich: alle Bomben, die im 2. Weltkrieg explodierten, entsprachen insgesamt drei Megatonnen TNT. Ein einziges US-Atom-U-Boot bestückt mit 48 Trident-Raketen verfügt über mehr als das Zehnfache dieser Sprengkraft und eine SS-18 über mehr als das Zweifache.

Existieren heute weniger Atomwaffen als 1985?

1985 gab es über 60.000 Atomwaffen weltweit, heute sind es rund 23.000, also weniger als die Hälfte. Doch die Zahl der Atomwaffenstaaten ist gestiegen: von sechs auf neun.

Rüstungskontrolle


Worin sehen sie die Schwächen der gegenwärtig bestehenden Anti-Atom-Abkommen?

Es fehlt weniger an Verträgen oder konkreten Ideen, sondern vielmehr am politischen Willen. Der Atomwaffensperrvertrag ist bis auf Artikel vier der beste Vertrag, den wir im Augenblick haben. Bei den Vertragsverhandlungen im Jahr 2000 wurden 13 konkrete Schritte erarbeitet, wie man zu einer atomfreien Welt gelangen kann. Die Atommächte weigern sich, diese Schritte zu gehen. Der Druck auf die Regierungen muss sich verstärken, damit es zu ihrer Umsetzung kommt. Deutschland könnte z. B. damit anfangen, die bei uns stationierten 150 US-Atomwaffen an die USA zurückzugeben.

Welche Druckmittel sieht der Atomwaffensperrtrag für den Fall eines Vertragsbruchs vor?

Die Umsetzung des Vertrages ist auch seine Schwäche. Alle fünf Jahre gibt es eine Überprüfung des Vertrages, damit die Unterzeichnerstaaten den Fortschritt der Umsetzung feststellen können. Jedes Mal wird von den Nichtatomwaffenstaaten moniert, dass die Atomwaffenstaaten ihre Verpflichtungen unter Artikel VI nicht einhalten. Vermutete Verstoße gegen andere Artikel werden schneller identifiziert und mit Nachdruck verfolgt: siehe Nordkorea und der Iran. Ein Verstoß gegen den Vertrag muss dem Sicherheitsrat berichtet werden. Aber die Nichteinhaltung der Abrüstungsverpflichtung kann man nicht so einfach feststellen, da es nicht im Vertrag steht, bis wann diese einzuhalten ist. Aus diesem Grund überlegen einige Nichtregierungs-Organisationen, sich an den Internationalen Gerichtshof zu wenden, um zu fragen, wie die Nichteinhaltung juristisch bewertet wird. Vor zehn Jahren hat der IGH zur Völkerrechtswidrigkeit des Einsatzes von Atomwaffen ein Rechtsgutachten veröffentlicht, in dem festgestellt wird, dass die Atomwaffenstaaten eine Verpflichtung aus dem Atomwaffensperrvertrag haben, einen Vertrag zur Abschaffung aller Atomwaffen zu verhandeln und abzuschließen.

Wird derzeit weiter abgerüstet?

Seit dem START-1-Vertrag, der 1991 abgeschlossen wurde, gibt es keine neuen Vereinbarungen zur Abrüstung (d.h. Vernichtung) von Atomwaffen, sondern nur zur Reduzierung von stationierten strategischen Atomwaffen. Der neue START-Vertrag zwischen Obama und Medwedew reduziert die Zahl der einsetzbaren strategischen Atomwaffen auf je 1.550. Die Abrüstung geht jedoch kontinuierlich weiter, da viele Atomwaffen einfach zu alt geworden sind und vernichtet werden müssen. Gleichzeitig werden aber neue gebaut oder alte Typen modernisiert, um sie zu ersetzen. Die USA verfolgen mit Nachdruck ein Modernisierungsprogramm. Bisher gibt es zudem keine Verträge über eine Reduzierung von taktischen Atomwaffen.

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