Das höchte Rechtsorgan der Welt - der Internationale Gerichtshof in Den Haag - hat am 8. Juli 1996 ein Rechtsgutachten über die Androhung und den Einsatz von Atomwaffen verkündet. Das völkerrechtliche Gutachten (advisory opinion) wurde auf Anforderung der UN-Generalversammlung gemäß Art. 96 UN-Charta erstellt.
Die dem Gerichtshof vorgelegte Rechtsfrage der UN lautete:
"Kann die Androhung des Einsatzes oder der Einsatz von Atomwaffen unter bestimmten Umständen völkerrechtlich legal sein?"
Auf Nichtbefassung entschied der Internationale Gerichtshof bezüglich einer zweiten Anfrage von der WHO, die wie folgt lautete:
"Wäre der Einsatz von Atomwaffen durch einen Staat in einem Krieg oder einem anderen bewaffneten Konflikt im Hinblick auf die Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt ein Verstoß gegen die Verpflichtungen dieses Staates gemäß Völkerrecht und der Satzung der WHO?"
Die Nichtbefassung wurde damit begründet, dass die WHO zwar berechtigt sei, das Gericht zu den gesunheitlichen Auswirkungen von Atomwaffen zu befragen, nicht aber zu ihrer Legalität. Die deutsche Sektion der Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) hatte eine Studie zur Zulässigkeit der WHO-Anfrage vom Völkerrechtler Prof. Michael Bothe erstellen lassen, dennoch ist die Bundesregierung zu einem gegenteiligen Ergebnis gekommen.
Die Atomwaffenstaaten argumentierten, die Anfrage der UN sei politisch zu brisant, um für den Gerichtshof befasst zu werden. Der Gerichtshof war jedoch nicht dieser Meinung. Er war auch nicht von dem Argument überzeugt, dass eine Behandlung der Anfrage die laufenden Abrüstungsverhandlungen stören könnte.
Die Richter waren übereinstimmend der Meinung, der Einsatz von Atomwaffen verstoße gegen das Recht auf Leben und gegen die Genozidkonvention.
Sie lehnten das Argument der Atomwaffenstaaten und ihrer Bündnispartner ab, dass alle völkerrechtlichen Verträge zum Schutze der Umwelt nur im Frieden gelten.
Der Gerichtshof wies auf die besonderen Eigenschaften der Atomwaffen hin, die bei keinen anderen Waffen vorhanden seien. Atomwaffen seien eine ernste Gefahr für zukunftige Generationen. Radioaktivität könne der Umwelt, den Lebensmitteln und dem Ökosystem des Meeres schaden. Sie verursache genetische Schäden und Krankheiten in zukünftigen Generationen.
Wenn der Einsatz von Gewalt gegen Völkerrecht verstößt, dann ist auch die Androhung von Gewalt völkerrechtswidrig. Der Besitz von Atomwaffen könnte bereits als Androhung verstanden werden.
Die Abkommen über Atomwaffen - z.B. der Atomwaffensperrvertrag oder die Verträge über atomwaffenfreie Zonen - dürfen nicht als eine Legitimation der Atomwaffen interpretiert werden. Diese Abkommen weisen auf das wachsende Bedürfnis hin, die Welt endgültig von Atomwaffen zu befreien.
Der Gerichtshof lehnte es ab, eine Aussage über den Rechtsstatus der Politik der atomaren Abschreckung zu treffen.
Die Grundprinzipien des Völkerrechts - es darf kein unnötiges oder schweres Leid verursacht werden es dürfen nicht unterschiedslos Zivilpersonen und Soldaten getroffen werden, das Territorium neutraler Staaten verletzt oder unverhältnismäßige Vergeltungsmaßnahmen ausgeübt werden - gelten genauso für Atomwaffen wie für jede andere Waffe.
Der Argumentation, es gäbe auch einen ,sauberen" Einsatz von kleinen taktischen Atomwaffen, der dann legal sei, wollte das Gericht nicht folgen. Ein solcher Einsatz würde die Gefahr der Eskalation in sich bergen, die bis zum Einsatz von Atomwaffen mit großer Sprengkraft führen kann.
Der Einsatz und die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen wären grundsätzlich völkerrechtswidrig.
Für den extremen Fall von Selbstverteidigung, in dem die Existenz eines Staates gefährdet wäre, konnte der Gerichtshof nicht entscheiden, ob der Einsatz von Atomwaffen gegen Völkerrecht verstoßen würde.
Es besteht eine Verpflichtung, Verhandlungen zu beginnen, die zur vollständigen Abschaffung von Atomwaffen führen. Dieser Weg sei der tauglichste, um dem rechtlichen Dilemma zu entkommen.
Zur Umwelt: "Das Gericht erkennt, dass die Umwelt täglich bedroht ist und dass der Einsatz von Atomwaffen eine Umweltkatastrophe bedeuten könnte. Das Gericht erkennt zudem, daß die Umwelt keine Abstraktion ist, sondern für den Lebensraum, die Lebensqualität und besonders die Gesundheit der Menschen, einschließlich ungeborener Generationen, steht.
Der Gerichtshof zu Atomwaffen: "Laut des dem Gericht präsentierten Materials sind die ersten zwei Ursachen der Zerstörung (Hitze und Energie, d.R.) entschieden kraftvoller als die Zerstörung durch andere Waffen, und auch das Phänomen der Strahlung ist eine Besonderheit der Atomwaffen. Diese Chararkteristika machen die Atomwaffe potentiell katastrophal. Die Zerstörungskraft von Atomwaffen kann weder im Raum noch in der Zeit begrenzt werden. Sie haben das Potential jegliche Zivilisation und das vollständige Ökosystem des Planeten zu zerstören."
Richter Shahabuddeen, einer von 14 Richtern des Internationalen Gerichtshofes sagte:
"Nach meiner ernsthaften Überzeugung ist der Einsatz oder die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen in jedem Falle illegal. Sie verstoßen gegen die fundamentalen Prinzipien des Völkerrechts und sind die völlige Verneinung des humanitären Anliegens, das der Struktur des Völkerrechts zugrundeliegt. (...) Sie widersprechen den fundamentalen Prinzipien der Würde und des Wertes der menschlichen Person auf denen alle Gesetze basieren. Sie gefährden die menschliche Umwelt in einer Art, die das ganze Leben auf dem Planeten bedroht."
Richter Koroma zur Abschreckung:
"Unzweifelhaft gehört diese Praxis einiger Atomwaffenstaaten in das Reich internationaler Politik, nicht des Gesetzes. Sie hat keine gesetzliche Bedeutung vom Gesichtspunkt der Ausformulierung einer Gewohnheitsregelung, die den Einsatz von Atomwaffen als solchen verbietet. Vielmehr sollte die Politik der atomaren Abschreckung ein Gegenstand gesetzlicher Regulierung sein, nicht vice versa."
Richter Koroma zur Selbstverteidigung:
"Das Recht der Selbstverteidigung ist allen Staaten inhärent und fundamental. Es existiert im und nicht außerhalb oder über dem Gesetz. Zu unterstellen, dass es außerhalb oder über dem Gesetz stünde macht es wahrscheinlich, dass Gewalt einseitig von einem Staat benutzt wird, wenn er selbst sein Überleben als gefährdet einschätzen sollte. Das Recht auf Selbstverteidigung ist keine Lizenz zur Gewaltanwendung; es wird durch Gesetze reguliert und war niemals gedacht, die Sicherheit anderer Staaten zu bedrohen."