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Die All-in-one-Bombe: B61-12

17.11.2014

Die B61-12 wird die erste einsatzfähige „All in One“-Bombe sein. Sie soll sechs vorhandene Atombombentypen der USA ablösen und deren unterschiedliche militärische Funktionen mit ihren Fähigkeiten vereinen. Die geplante neue Variante einer alten Atombombe, der B61, soll nicht nur vier derzeitigen Typen der B61, die Modelle -3, -4, -7 und -10 ersetzen, sondern alle sechs Atombomben ablösen, die es im Arsenal der USA heute noch gibt. Wenn die neue Bombe eingeführt sei, könne man zusätzlich gleich auch die nuklearen Bunkerknacker vom Typ B61-11 und die strategische atomare Bombe B-83 mit ihren 1,2 Megatonnen Sprengkraft außer Dienst stellen.

Bis 2020 soll die erste der B61-12 fertiggestellt sein. Weitere vier Jahre später, 2024, soll die Produktion abgeschlossen sein und die alten Bomben abgelöst werden. In den USA, in Europa und auch in dem deutschen Eifel-Dörfchen Büchel, auf dessen Fliegerhorst noch immer bis zu 20 US-Atombomben vom Typ B61 gelagert sind. Dann, so der Plan, kann die neue Bombe sowohl mit taktischen Kampfflugzeugen wie der F-16, dem deutschen Tornado, der F-15E oder dem neuen Jagdbomber F-35 eingesetzt werden als auch von strategischen Bombern wie der B-2 „Spirit“ oder dem geplanten Zukunftsbomber vom Typ LRS-B.

Damit das möglich wird, soll die Waffe zwei Funktionsmodi bekommen: Als „System 1“ wird sie als analoge, ballistische Gleitbombe mit älteren Trägerflugzeugen wie der F16 oder dem Tornado zum Einsatz kommen, deren Systeme nicht ausreichend digitalisiert werden können. Als „System 2“ wird sie zur modernen, digitalisierten Lenkwaffe, zur einer atomaren Präzisionswaffe, wenn sie an Bord von digitalisierten Trägern wie der F-35, dem Joint Strike Fighter, verwendet wird. Zwecks präziser Lenkung wird die Waffe über ein modernes Heckleitwerk, ein sogenanntes Tail Kit Assembly, verfügen, das derzeit zeitgleich zu der B61-12 von der Firma Boeing entwickelt wird und für rund 1,6 Milliarden Dollar in mehr als 800 Exemplaren beschafft werden soll.

Vor allem von diesem Leitwerk und der digitalisierten Lenkwaffe versprechen sich Entwickler und Militärs eine kleine Revolution: Aufgrund der deutlich höheren Zielgenauigkeit benötigt die Waffe künftig eine viel geringere Sprengkraft als die meisten Vorgängerwaffen. Die Zerstörungskraft der kleinsten bisherigen B61, der B61-4, ist mit 50 Kilotonnen, also der vierfachen Sprengkraft der Hiroshima-Bombe, ausreichend, um auch die Ziele bekämpfen zu können, für die bislang Waffen mit einer Sprengkraft von 300, 400 oder mehr Kilotonnen eingeplant wurden. Deshalb soll die entscheidende Nuklearkomponente der B61-4, das sogenannte Secondary, dessen Konfiguration die Wahlmöglichkeiten für die Sprengkraftstärke bestimmt, als Basis für die B61-12 genutzt werden. Als Gleitbombe fliegt die Waffe zudem in beiden Versionen die letzten Kilometer bis zu ihrem Ziel eigenständig. Dabei ist die Zielgenauigkeit im digitalisierten Modus „System 2“ noch größer als jene des Systems 1.

Die US-Administration betont, die neue Waffe helfe, den Gesamtbestand luftgestützter Atomwaffen in den USA künftig deutlich zu reduzieren. Rund die Hälfte der heute noch vorhandenen Waffen werde verzichtbar. Das betreffe nicht nur die anderen alten Versionen der B61 sondern auch die schwere strategische Bombe B-83 und den nuklearen Bunkerknacker der USA, die B61-11. Beide sollen außer Dienst gestellt werden, wenn die B61-12 einmal eingeführt ist.

Die neue Bombe wird also alle drei bisherigen taktischen Atombomben der USA (B61-3, B61-4 und B61-10) und ebenso alle bisherigen strategischen Waffen dieser Bauart (B61-7, B61-11 und B83) ersetzen. Die größere Leistungsfähigkeit wirft eine entscheidende Frage auf: Verstößt das Vorhaben B61-12 gegen die politische Vorgabe von US-Präsident Barack Obama, keine neuen atomaren Waffen und auch keine Waffen mit neuen militärischen Fähigkeiten mehr zu entwickeln? Die zuständige Nationale Nukleare Sicherheitsbehörde (NNSA) bestreitet das: Man benutze für die B61-12 überarbeitete nukleare Komponenten einer vorhandenen Bombe und schaffe auch keine neuen militärischen Fähigkeiten, weil alle Ziele, für die die B61-12 gedacht sei, ja auch in der Vergangenheit bereits bekämpft werden konnten – mit Waffen, die eine wesentlich größere Sprengkraft besaßen.

Kritiker sehen das ganz anders. Hans Kristensen von der Federation of American Scientists kommentiert die gesteigerte Leistungsfähigkeit der Bombe mit kaum überhörbarer Ironie: “Nicht schlecht für eine simple Lebensdauerverlängerung“ sagt er. Stephen Young von der Union of Concerned Scientists weist darauf hin, dass eine verbesserte militärische Leistungsfähigkeit der Waffe von der NNSA für 15 der 16 genauer beschriebenen Verbesserungen an den nicht-nuklearen und nuklearen Komponenten als Zweck und Motiv der Modernisierung genannt wird, während verbesserte Sicherheitsstandards oder der Ersatz veralteter Komponenten nur bei ganz wenigen Verbesserungen erwähnt werde. Schon das mache deutlich, dass die Verbesserung der Leistung die „treibende Kraft“ bei diesem Modernisierungsvorhaben sei.

Bearbeitungsstand: November 2014

Quelle:

Nassauer O, Piper G: Atomwaffen-Modernisierung in Europa - Das Projekt B61-12, BITS Research Report 12.1, August 2012

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