Im September 2007 bombardierte die israelische Luftwaffe ein Gebäude in Syrien, das angeblich ein sich im Bau befindlicher Atomreaktor war. Am 24. April 2008 zeigte die Bush-Administration dem US-Kongress ein Video, das angeblich beweisen sollte, dass Nordkorea Syrien dabei geholfen hat, diese Atomanlage zu bauen. Diese Anlage soll den Zweck gehabt haben, Plutonium für ein Atomwaffenprogramm herzustellen und sei nicht für die Stromerzeugung gebaut worden, so die Administration.
Syrien bestreitet, dass es sich bei dem von Israel zerstörten Gebäude um eine Atomanlage gehandelt hat. Es sei nur ein altes, verlassenes Militärgebäude gewesen, und wenn Syrien Atomwaffen haben wollte, hätte es diese als fertig gebaute Sprengköpfe gekauft. Die US-Administration würde hiermit vor der Präsidentschaftswahl wieder versuchen, seine Bevölkerung zu täuschen. Man erinnere sich an die Lügen vor dem Irakkrieg, so der syrische Botschafter in Großbritannien im BBC World Service Radio.
Was ist nun die Wahrheit? Die Neokonservativen in den USA haben Syrien schon lange auf die Liste der "Schurkenstaaten" gesetzt. 2004 gab es in der Presse Berichte, dass die Bush-Regierung befürchte, Syrien betreibe bereits Urananreicherung für ein geheimes Atomwaffenprogramm in Zentrifugen. Im September 2005 sagte John Bolton vor einem Kongress-Unterausschuss: "...bezüglich nuklearer Aktivitäten sind wir besorgt über das syrische nukleare Forschungs- und Entwicklungsprogramm und wir bleiben wachsam, falls es zu Anzeichen für eine Atomwaffenaktivität oder für eine Fremdhilfe, die die Entwicklung von Atomwaffen ermöglichen könnte, kommen sollte. Wir wissen, dass Syrien sich um Dual-Use-Technologien bemüht, die für ein Atomwaffenprogramm verwendet werden können."
Syrien hat bekanntlich bei Dayr Al Hajar in der Nähe von Damaskus einen kleinen lizenzierten 30 KW Neutronquellenreaktor, geliefert von China und 1998 fertig gestellt, den Syrien für wissenschaftliche Zwecke betreibt. Als Mitglied des Atomwaffensperrvertrags hat das Land ein Recht auf die zivile Nutzung der Atomenergie und sogar auf Hilfe, um diese zu entwickeln und zu betreiben. Syrien ist auch Mitglied in der IAEA und hat ein Sicherheitsabkommen mit ihr geschlossen, aber noch kein Zusatzprotokoll unterschrieben, das weitergehende Inspektionen erlauben würde. Zwar besitzt Syrien keine Atomkraftwerke, aber das Interesse an der Erzeugung von Atomkraft wurde seit den 1970er Jahren stets geäußert und bereits Pläne dafür entwickelt. In den 1980er Jahren wollte Syrien ein Atomenergieprogramm entwickeln, um Uran aus Phosphorsäure zu gewinnen, wovon Syrien über sehr große Vorräte besitzt. Das Programm blieb jedoch in der Testphase stecken und wurde nicht vollständig realisiert. Syrien hat kein erklärtes Urananreicherungsprogramm. Dennoch betreibt seine Atomenergiekommission ein Zyklotron, womit möglicherweise Experimente zur Anreicherung durchgeführt werden können. 2003 begannen Verhandlungen mit Russland über den Kauf eines Atomkraftwerks, die aber bisher zu keinem Ergebnis führten.
Im Oktober 2007 teilte die IAEA mit, sie habe keine Informationen über irgendeine geheime Atomanlage in Syrien. Am 24. Mai 2011 veröffentlichte sie nun jedoch einen Bericht über ihre Untersuchungen bezüglich des mutmaßlichen Reaktors in Syrien, der sich noch im Bau befand als er von Israel zerstört wurde. In diesem Bericht stellt die IAEA die Beweise vor, die sie in den letzten Jahren gesammelt hat und kommt zu dem Schluss, „dass das zerstörte Gebäude sehr wahrscheinlich ein Atommeiler war“.
Durch diesen Bericht wäre es dem Aufsichtsrat der IAEA nun möglich, den Fall Syrien an den Sicherheitsrat der UN zu verweisen und eine Sonderinspektion in Syrien zu fordern. Obwohl Jahre vergangen sind, seit Syrien die Reste des Gebäudes fortgeschafft und vergraben hat, wäre eine Sonderinspektion sehr wichtig, da sie weitere Beweise sammeln und die Ereignisse besser rekonstruieren könnte. xh/af
Stand: Juni 2011