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New START: Unüberwindbare Hürden für einen neuen US-russischen Rüstungskontrollvertrag?

30.09.2020

Im Februar 2021 läuft New START, der bilaterale Vertrag zur Reduzierung der strategischen Atomwaffen von 2010 zwischen den USA und Russland, aus, es sei denn, er wird verlängert. Seit Monaten treffen sich Unterhändler der beiden Staaten, um über Bedingungen für eine Verlängerung zu sprechen bzw. über die Möglichkeit, sich auf einen neuen Vertrag zu einigen. Allerdings verlangen die USA veränderte Bedingungen für die Verlängerung des Vertrages. Russland ist daher sehr skeptisch, ob eine Verlängerung noch möglich ist.

Anfangs hatten die USA darauf bestanden, dass China an den Gesprächen teilnehmen müsste. Es sollte sich um einen komplett neuen trilateralen Vertrag handeln. China lehnte diesen Vorstoß ab und erklärte, das Land sei nur bereit über Abrüstung zu reden, wenn sich die Zahl der Atomwaffen in den USA und Russland an die Zahl der Atomwaffen in China angenähert habe. Dann müssten aber auch Frankreich und das Vereinigte Königreich beteiligt werden, die über ungefähr die gleiche Zahl von Atomwaffen verfügen wie China.

Russland bietet eine einfache Verlängerung von fünf Jahren an, die maximale Zeitspanne, die im Vertrag vorgesehen ist. Das Land warnt vor einem drohenden Wettrüsten, wenn der Vertrag ausläuft. Am 20. September erklärte Botschafter Marshall Billingslea, Unterhändler der USA, gegenüber der russischen Zeitung Kommersant, dass ein Angebot der USA bereits auf dem Tisch läge. Die USA würden New START verlängern, allerdings für weniger als fünf Jahre, verbunden mit einer politischen Absichtserklärung. Das würde ihrer Meinung nach genügend Zeit schaffen, einen neuen Rüstungskontrollvertrag zu verhandeln. Dieses Angebot der Verlängerung ist an einige Bedingungen geknüpft, z.B., dass der Rahmen für einen Nachfolgevertrag bereits in der Absichtserklärung skizziert wird.

Die Chancen stehen jedoch momentan nicht gut, dass sich die USA und Russland auf einen neuen Rüstungskontrollvertrag einigen können. Washington bleibt bei der Forderung, dass China teilnehmen müsse. Die vorgeschlagene politische Absichtserklärung zwischen den USA und Russland sollte dann in einen Vertrag umgewandelt werden, wenn China zustimmt, sich ebenfalls den Vereinbarungen zu unterwerfen.

Russland ist im Prinzip nicht abgeneigt, dass China mit am Verhandlungstisch sitzt, will aber dann die anderen beiden offiziellen Atomwaffenstaaten ebenfalls einbinden. Das will wiederum US-Chefunterhändler Marshall Billingslea nicht: „Wir sind der Meinung, dass es notwendig ist, spezifisch China zu erwähnen“. Die US-Geheimdienste behaupten, dass die Aufrüstung in China sehr aggressiv sei und das dortige Arsenal sich künftig verdoppeln werde. Momentan verfügt das Land über ca. 240 strategische Atomwaffen, die nicht einsatzbereit sind (Frankreich hat 280 betriebsbereite und das Vereinigte Königreich 120). Auch wenn China das Arsenal verdoppeln und einsatzbereit halten würde, bliebe die die Zahl weit unter den US-amerikanischen oder russischen Zahlen von 1.600 bzw. 1.570 einsatzbereiten strategischen Atomwaffen.

Damit stellt sich die Frage, was geschehen wird, wenn China die Teilnahme an den Vertragsgesprächen weiterhin ablehnt. Wenn im Vertrag festgeschrieben wird, dass er nur mit dem Beitritt Chinas wirksam wäre, würde eine solche Klausel bedeuten, dass der Vertrag nicht in Kraft treten könne. Die Schuld für das Nichtzustandekommen des Vertrags könnten die USA dann Peking zuschieben Damit würde die Gefahr entstehen, dass die bilateralen Begrenzungen über strategische Atomwaffen nach Auslaufen des New START wegfallen und dies China angelastet werden soll.

Noch ein Problem bleibt zudem die Bedingung der USA, dass auch alle taktische Atomwaffen in einem neuen Vertrag eingeschlossen werden. Obwohl das Ziel auf dem ersten Blick sicherlich zu begrüßen wäre, der ehemalige US-Präsident Barack Obama hatte schon versucht, die Russen an den Verhandlungstisch zu bekommen, um einen neuen Vertrag über taktische Atomwaffen zu machen, ohne Erfolg.

Russland fordert wiederum den Abzug der 150 taktischen US-Atomwaffen in Europa, die demnächst mit neuen aufgerüsteten Versionen ausgetauscht werden. Diese Atombomben stehen unter NATO-Befehl und gehören zur sogenannten nuklearen Teilhabe der NATO. Billingslea sagt, dass die US-Atombomben auf gar keinen Fall abgezogen würden: „Wir werden die Atomwaffen aus den Lagern [in Europa] nicht entfernen“. Auch die russische Gegenforderung, die Raketenabwehr zu diskutieren, wurde von Billingslea abgelehnt.

Die Rhetorik bleibt scharf, besonders auf US-amerikanischer Seite. Sollte Moskau das Angebot in dieser Form ablehnen und Donald Trump die Wahl gewinnen, meint Billingslea, würde sich der „Eintrittspreis“ zu weiteren Gesprächen erhöhen und weitere Bedingungen kämen dazu. Er behauptet, die USA stünden erst am Anfang der Modernisierung. „Und wir freuen uns darauf, ohne START-Begrenzung weiterzumachen“, so Billingslea.

Laut Washington Post wächst der Frust der Trump-Administration über die Gespräche mit Russland, weil sie vor der Wahl einen Erfolg erzielen will. Angeblich reagiert die russische Regierung nicht auf das Angebot einer politischen Absichtserklärung. Deswegen habe Billingslea solche Warnungen geäußert.

Laut der US-amerikanischen Zeitschrift Politico, die sich am 28. September auf drei ungenannten Quellen bezog, hat die Trump-Administration die Militärs um eine Einschätzung gebeten, wie schnell sie die gelagerten Atomwaffen auf Bomber und Raketen montieren könnten, wenn der Vertrag ohne Nachfolgevertrag ausläuft. Damit will sie Russland offensichtlich unter Druck setzen, das Angebot schnell anzunehmen.

Schon vor Erscheinen dieses Artikels warnte der russische Unterhändler Vize-Außenminister Sergej Rjabkow, dass solche Ultimaten nicht zielführend seien. „Entweder hören sie mit ihren Ultimaten auf und wir beginnen zu verhandeln, oder es gibt keine Einigung“, sagte er RIA Nowosti. Gegenüber Kommersant sagte Rjabkow, dass das Angebot nicht wie ein guter Deal aussehe und lehnte die Vorbedingungen der USA ab.

Rose Gottemoeller, die 2010 das New-START-Abkommen mit Russland ausgehandelt hatte, kritisiert die Strategie der aktuellen Administration als „Megafon-Diplomatie“ und fragte: „Wollen wir in einer noch instabileren Lage enden? Damit würden wir in ein Wettrüsten einsteigen.“

Der demokratische Kandidat für die US-Präsidentschaftswahl Joe Biden sagt, dass er New START verlängern möchte, wenn er die Wahl gewinnt.

Zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Internationale Kampagne für die Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) oder die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) in Deutschland fordern umgehend eine Verlängerung von New START. Darüber hinaus fordern sie alle Atomwaffenstaaten auf, ihren Abrüstungsverpflichtungen aus dem Nichtverbreitungsvertrag (NPT) nachzukommen und dazu dem Vertrag zum Verbot von Atomwaffen (TPNW) beizutreten. Der Verbotsvertrag steht kurz davor, in Kraft zu treten. Um beizutreten, müssten die Staaten im Besitz von Atomwaffen einen verbindlichen Zeitplan vorlegen, wie sie dieseWaffen abbauen und eliminieren.

Dr. med. Lars Pohlmeier, der IPPNW- und ICAN-Mitglied ist, fordert daher die USA und Russland auf, sich Gedanken über die notwendigen Schritte zu machen, um ihre Atomwaffenarsenale gemeinsam überprüfbar abzuschaffen. „Es ist an der Zeit, nicht nur über kleine Trippelschritte zu reden, sondern einen Weg aus der nuklearen Zwangsjacke zu vereinbaren.“

xh (Quellen: Defense one, Politico, Russia Today, TASS, Washington Post)

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