Atomwaffen A-Z
International | NVV

Nukleare Teilhabe und der Nichtverbreitungsvertrag

01.08.2023

Die nukleare Teilhabe ist bei der NPT Prepcom, der Konferenz zum Nichtverbreitungsvertrag (NVV), in dieser Woche Thema. Denn Russland hat von den USA die Praxis der nuklearen Teilhabe übernommen, indem es Atomwaffen im Nachbarland Belarus stationiert und belarussisches Militärpersonal ausbildet, diese einzusetzen. Für viele NVV-Mitgliedsstaaten ist diese Praxis unerträglich, weil sie Artikel 1 und 2 des NVV untergräbt, die die Weitergabe von Atomwaffen verbieten.

Laut dem russischen Präsidenten Putin sollen dort bis Ende des Sommers schon taktische Atomwaffen schon stationiert sein. Hans Kristensen von der US-amerikanischen Federation of American Scientists und andere Expert*innen stellen diese Behauptung allerdings in Frage. Noch sei nichts auf den Satellitenbildern zu sehen, auch keine Transporte von Atombomben aus dem zentralen Lager. Dennoch ist das kein Grund zur Beruhigung. Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko lädt andere Staaten ein, dem „Unionsstaat“ von Russland und Belarus beizutreten. „Es gibt Atomwaffen für alle“, protzt er.

Kritiker*innen haben seit Langem davor gewarnt, dass die nukleare Teilhabe als Praxis der NATO nachgeahmt werden könnte. Belarus ist somit der sechste nukleare „Teilhabestaat“ – auf English „host state“. Bei der NATO sind es Belgien, Deutschland, Italien, die Niederlande und die Türkei. Polen bietet sich oft und lautstark als Stationierungsort für die US-Atombomben an.

Die Stationierung von Atomwaffen auf fremden Territorien ist nichts Neues und wurde früher auch vom Warschauer Pakt praktiziert. Es gibt wenig Informationen darüber, da es keine öffentliche Diskussion darüber gab. Die Zahl der Atombomben und die Orte der Stationierung bleiben heute offiziell geheim. Viele Informationen sind durch die Deklassifizierung von Dokumenten in den USA ans Licht gekommen. Im Artikel „Bombs Away“ von Moritz Kütt, Zia Mian und Pavel Podvig, erschienen im Bulletin of Atomic Scientists, wird diese Geschichte erläutert. Die Zahl der US-Atomwaffen in Europa lag 1971 bei 7.300, heute wird sie auf ca. 150 geschätzt. Mit der gerade stattfindenden Stationierung der neuen B61-12 reduziert sich diese Zahl wahrscheinlich noch einmal auf 100. Auch wenn der Zahl in den letzten 50 Jahren massiv reduziert wurde, darf man nicht glauben, dass die US-Atomwaffen in Europa heute zu vernachlässigen sind. Ein Blick in das NATO-Communiqué von Vilnius zeigt, dass die Rolle der Atomwaffen wieder steigt:

„Das nukleare Abschreckungsdispositiv der NATO beruht auch auf vorwärtsdislozierten Kernwaffen der Vereinigten Staaten in Europa. Die nationalen Beiträge der betreffenden Verbündeten an Flugzeugen mit dualer Einsatzfähigkeit sowie die Bereitstellung von konventionellen Streitkräften und Militärkapazitäten zur Unterstützung des nuklearen Abschreckungsauftrags der NATO bleiben bei dieser Anstrengung von zentraler Bedeutung.“

Weiter heißt es:

„Die NATO wird alle erforderlichen Schritte unternehmen, um die Glaubwürdigkeit, die Wirksamkeit und die Sicherheit des nuklearen Abschreckungsauftrags zu gewährleisten. Dies beinhaltet die fortgesetzte Modernisierung der nuklearen Fähigkeit der NATO und die Aktualisierung der Planungen zur Erhöhung der Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der nuklearen Kräfte des Bündnisses bei gleichzeitiger Ausübung einer starken politischen Kontrolle zu jeder Zeit. Das Bündnis bekräftigt die Notwendigkeit, die größtmögliche Teilhabe der betreffenden Verbündeten an den NATO-Vereinbarungen zur Lastenteilung im Nuklearbereich zu gewährleisten, um die Einheit und Entschlossenheit des Bündnisses zu zeigen.“ (Vilnius Summit Commiqué vom 11. Juli 2023)

Die NATO bekräftigt die „einzigartige und eigenständige Rolle der nuklearen Abschreckung“, in die sie viel Arbeit steckt. Im Juni 2023 führte sie die größte Verlegeübung der Geschichte durch: An „Air Defender“ nahmen auch F-35-Kampfjets teil, die künftig die Trägerflugzeuge für die nukleare Teilhabe in fast allen Teilhabestaaten sein sollen. 35 dieser Flugzeuge sind bereits bestellt und kommen voraussichtlich 2027 nach Deutschland. Im Oktober gibt es die jährliche Übung „Steadfast Noon“ der Teilhabestaaten zusammen mit weiteren NATO-Staaten, die die Einsatzflugzeuge mit „SNOWCAT“ (Support of Nuclear Operations With Conventional Air Support) verteidigen, wie etwa Tschechien, Dänemark, Griechenland, Norwegen, Polen, Rumänien und Ungarn. Eventuell werden die neuen NATO-Mitglieder Finnland und Schweden den Atomwaffeneinsatz künftig konventionell unterstützen.

Viele NVV-Mitgliedsstaaten dürften sich also diese Woche über die Praxis der nuklearen Teilhabe beklagen. Letztes Jahr bei der NVV-Überprüfungskonferenz sagte der indonesische Botschafter im Namen der blockfreien Staaten, die nukleare Teilhabe bedeute einen klaren Verstoß gegen die Verpflichtungen des NVV und rief alle beteiligten Staaten auf, diese zu beenden. Auch Russland selbst rief wiederholt nach einer Beendigung der nuklearen Teilhabe der NATO. Es argumentiert jedoch jetzt, dass die Teilhabe mit Belarus wesentlich anders ist, weil Russland und Belarus zu einem „Unionsstaat“ gehören.

Wichtig ist die Erkenntnis, dass die NATO Russland nicht für eine Sache kritisieren kann, die sie selbst seit Langem praktiziert. Nach dem Ende des Kalten Krieges hat die Sowjetunion alle Atomwaffen nach Russland zurückgezogen, die USA jedoch beließen ihre Bomben in Europa. Die Ukraine, Belarus und Kasachstan verzichteten auf Atomwaffen, wobei sie jedoch nie Kontrolle über diese Atomwaffen hatten, und wurden Unterzeichnerstaaten des NVV. Rechtlich interessant wird es, wie die NVV-Konferenz Belarus jetzt betrachtet.

Der einzige völkerrechtlich verbindliche Vertrag, der die Stationierung von Atomwaffen auf fremden Territorien explizit verbietet, ist der Atomwaffenverbotsvertrag (AVV), der 2021 in Kraft getreten ist und inzwischen von 96 Regierungen unterzeichnet wurde – also von knapp der Hälfte der Staaten. Der AVV bietet den Teilhabestaaten einen Weg, aus ihrer Ko-Abhängigkeit zu kommen. Nach einer Unterzeichnung muss ein Staat binnen 90 Tagen alle Atomwaffen abziehen lassen.

Willkommen wäre natürlich eine generelle Aussage der Vereinten Nationen, dass die Stationierung von Atomwaffen auf fremden Territorien eine Bedrohung des internationalen Friedens sei, so Kütt et al. in ihrem Artikel. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass Russland oder die USA diese Aussage unterschreiben würden. China hingegen positioniert sich immer wieder deutlich gegen die Praxis der nuklearen Teilhabe. Die chinesische Regierung befürchtet nämlich, dass die USA wieder Atomwaffen nach Asien verlegen könnten, etwa nach Südkorea oder Japan.

Artikel 6 des NVV enthält die Verpflichtung, das Wettrüsten zu beenden. Die Weitergabe von Atomwaffen durch die nukleare Teihabe treibt das Wettrüsten voran, daher muss die NVV-Konferenz sie deutlich verurteilen. xh

Quellen:

Knight M, Pavlova U, Regan H: Lukashenko offers nuclear weapons to nations willing ‘to join the Union State of Russia and Belarus’, CNN,28.05.23
Kütt M, Podvig P, Mian Z: Confronting the deployment of nuclear weapons in non-nuclear weapon countries, Bulletin of Atomic Scientists, 28.07.2023

 

zurück

Atomwaffen A-Z