Atomwaffen A-Z

Deutschland

engl.: Germany

Bereits im Jahr 1953 kamen die ersten US-amerikanischen Atomwaffen nach Deutschland. Dabei handelte es sich um Artilleriegranaten mit einem Kaliber von 280 Millimeter. Das dabei verwendete Geschütz mit einer Reichweite von ca. 32 km wurde unter der Bezeichnung »Atom-Annie« bekannt. Im März 1955 kamen die ersten atomaren Fliegerbomben in die Bundesrepublik. Es folgten Sprengköpfe für atomare Marschflugkörper vom Typ Matador und im Mai 1955 wurden die ersten atomaren Kurzstreckenraketen vom Typ Honest John stationiert. Später kamen Corporal-Raketen und atomare Landminen hinzu. Zu Beginn des Jahres 1960 lagerten in Deutschland bereits 10 unterschiedliche Typen von Atomwaffen aus den USA. Jede einzelne dieser Waffen besaß eine größere maximale Sprengkraft als jene Waffe, die Hiroshima zerstört hatte.

Erst im April 1957 erfuhr die Bevölkerung von der Existenz US-amerikanischer Atomwaffen auf deutschem Boden. Beiläufig erklärte Adenauer den bis dato gültigen Atomwaffenverzicht der Bundesrepublik für obsolet. Bundeskanzler Adenauer erklärte, Atomwaffen seien »im Grunde nichts weiter als die Weiterentwicklung der Artillerie. Selbstverständlich können wir nicht darauf verzichten, dass unsere Truppen auch in der normalen Bewaffnung die neueste Entwicklung mitmachen«. Mit Widerstand hatte Adenauer gerechnet, doch einen Proteststurm wie in den folgenden eineinhalb Jahren hatte die Bundesrepublik noch nicht gesehen.

Während des Kalten Krieges war die Masse der in Europa stationierten US-eigenen Atombomben, die für einen möglichen Einsatz durch die NATO vorgesehen waren, in so genannten Sondermunitionslagern (Special Ammunition Storage = SAS) eingelagert. In der Bundesrepublik Deutschland beispielsweise verfügte jeder militärische Großverband (Korps, Division) über ein eigenes Atomwaffenlager. Die Bundeswehr schaffte die dazu erforderlichen Geschütze, Raketen und Flugzeuge an, um die tödliche Fracht ins Ziel zu bringen. Im Osten Deutschlands übten Soldaten der Nationalen Volksarmee seit den 1960er Jahren den Umgang mit Atommunition. Das geteilte Deutschland wurde zum größten Atomwaffenlager der Welt.

Der NATO-Doppelbeschluss zur Modernisierung der NATO-Atomwaffenarsenale in Europa vom Dezember 1979 bedeutete eine weitere signifikante Aufrüstung und Erweiterung der bereits vorhandenen nuklearen Arsenale, vor allem in der Bundesrepublik Deutschland. Diese Entscheidung bewirkte zwischen 1980 und 1983 eine in der Nachkriegsgeschichte beispiellose öffentliche Auseinandersetzung, die mit gesellschafts-, friedens- und parteipolitischen Argumenten bestritten wurde. Im Oktober 1981 demonstrierten im Bonner Hofgarten über 300.000 Menschen gegen die Aufstellung neuer Atomraketen (Pershing II und Cruise Missile) in Deutschland. Die Öffentlichkeit war beeindruckt von Kraft und Friedlichkeit dieser Demonstration. Davon unbeeindruckt wurden die neuen Waffensysteme mit Zustimmung der Bundesregierung im Hunsrück stationiert.

Nach Beendigung des Kalten Krieges begann der Abtransport der Massenvernichtungswaffen auf beiden Seiten des ehemaligen Eisernen Vorhangs.

Unter dem Namen » Operation Silent Echo « koordinierten die Amerikaner den Abtransport ihrer Atomsprengköpfe aus Europa, nachdem sie zuvor bereits die gesamte chemische Munition abgezogen hatten. Wahrscheinlich war dies die größte und aufwändigste Transportaktion von Atomwaffen, die es je in der Geschichte gegeben hat. Aus über 100 Lagerstätten in Westeuropa wurden die Sprengköpfe eingesammelt und per Lufttransport in die USA verbracht. Der Abzug von Tausenden von Atomsprengköpfen erfolgte weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Am 2. Juli 1992 verkündete US-Präsident Bush den erfolgreichen Abschluss der Mission.

Dennoch sind bis heute Atombomben in Deutschland gelagert und unsere Regierung beteiligt sich weiterhin an der nuklearen Teilhabe der NATO. Diese besteht aus zwei Komponenten: Zum einen aus der technischen Teilhabe, mittels derer Piloten und Flugzeuge der nichtnuklearen NATO-Staaten (z.B. Deutschland) im Kriegsfall US-Atomwaffen einsetzen können und dies im Frieden üben. Zum anderen aus der politischen Teilhabe, d.h. dem Recht, über Nuklearstrategie, Nuklearwaffenstationierung und Nuklearwaffeneinsatzplanung in der NATO mitdiskutieren zu können (Nukleare Planungsgruppe der NATO). Im Rahmen der so genannten » nuklearen Teilhabe « sind in fünf europäischen Ländern (Belgien, Deutschland, Italien, Niederlande, Türkei) taktische Atomwaffen stationiert. In Deutschland werden Bundeswehrsoldaten für den Einsatz dieser Waffen im Ernstfall ausgebildet. Als Trägersysteme stehen in Büchel in der Eifel deutsche Tornados zur Verfügung. Viele Experten halten die nukleare Teilhabe für einen Verstoß gegen Artikel II des Nichtverbreitungsvertrags, in dem sich die Nicht-Atomwaffenstaaten verpflichten, Atomwaffen von niemandem anzunehmen. (RH)

Nachdem vermutlich bereits im Jahr 2006 die Atomwaffen vom US-Stützpunkt Ramstein in der Pfalz abgezogen wurden, sind nur noch im Bundeswehr Luftwaffenstandort Büchel in der Eifel wenige atomare Fliegerbomben gelagert. (LL)

»Weitere Informationen über Atomwaffen in Deutschland

Bearbeitungsstand: Februar 2008

siehe auch:
»Atom-Annie
»Büchel
»Corporal-Rakete
»Cruise Missile
»Honest John
»Kurzstreckenrakete
»Marschflugkörper
»Matador-Marschflugkörper
»NATO-Doppelbeschluss
»Nichtverbreitungsvertrag
»nukleare Planungsgruppe
»nukleare Teilhabe
»Operation Silent Echo
»Pershing-II-Rakete
»Ramstein
»Sondermunitionslager

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