Thule, Grönland, 1968
Atomwaffenunfallort
Der Absturz eines mit Atomwaffen bestückten B-52 Bombers der US Air Force über Grönland verseuchte große Landflächen und die umliegenden Gewässer mit radioaktivem Plutonium. Anwohner sowie Rettungs- und Dekontaminationsmannschaften wurden hohen Strahlendosen ausgesetzt.
Hintergrund
Am 21. Januar 1968 startete ein US-amerikanischer B-52 Bomber in New York einen Patrouillenflug rund um Grönland, bewaffnet mit vier Wasserstoffbomben. In den 1960er Jahren waren im Rahmen der Operation „Chrome Dome“ täglich rund um die Uhr bis zu zwölf atomar bewaffnete US-Bomber in der Luft, um im Falle eines atomaren Erstschlags der Sowjetunion zurückschlagen zu können. An diesem Tag begann es jedoch, sechs Stunden nach dem Start, in der Kabine des Flugzeugs zu brennen. Die Besatzung war gezwungen, das Flugzeug per Schleudersitz zu evakuieren und die Maschine stürzte auf das grönländische Eis, etwa 13 km südlich der US-Luftwaffenbasis Thule. Ein Besatzungsmitglied starb bei dem Absturz, die anderen sechs überlebten.
Durch eine glückliche Fügung kam es beim Absturz der Wasserstoffbomben nicht zu einer atomaren Kettenreaktion. Allerdings explodierte der nicht-atomare Sprengstoff und führte zur großflächigen Verseuchung von etwa 7,68 km² des umliegenden Geländes mit ca. zehn Terabecquerel radioaktivem Plutonium (Tera = Billion) sowie Uran, Americium und Tritium.
Einige Eisschollen sanken unter dem Gewicht der radioaktiven Stoffe und nahmen die strahlenden Partikel mit auf den Meeresboden. Man schätzt, dass insgesamt etwa fünf Gigabecquerel (Giga = Milliarde) radioaktives Plutonium in die umliegenden Gewässer gelangten. Eine radioaktive Wolke driftete zudem vom Unglücksort nach Süden ab und verseuchte die Region rund um das etwa sieben Kilometer entfernt liegende Dorf Narssarssuk.
Der Vorfall wurde als „Broken Arrow“ bezeichnet, ein Begriff des US-Militärs für den Unfall oder Verlust einer Atomwaffe. Grönland ist völkerrechtlich Teil Dänemarks, welches sich offiziell zur atomwaffenfreien Zone erklärt hatte. Nach Großdemonstrationen der Bevölkerung reagierte die dänische Regierung auf die radioaktive Verseuchung schließlich mit einer Protestnote an die USA.
Folgen für Umwelt und Gesundheit
Unmittelbar nach dem Unglück wurden Fischerei und Jagd in der Region verboten. Mehrere Studien wurden in den folgenden Jahren durch dänische und US-amerikanische Forscher durchgeführt und zeigten deutlich erhöhte Plutoniumkonzentrationen im Packeis, in den umliegenden Gewässern, in Meeresbodenproben sowie in Algen im Umkreis von bis zu 17 km um die Unfallstelle. Unter dem Code-Namen „Crested Ice“ wurden großflächige Dekontaminationsmaßnahmen veranlasst. Am Ende konnten laut Angaben der USA ca. 90 % des Plutoniums entfernt und als Strahlenmüll in die USA zurückgebracht werden. Schätzungsweise ein Terabecquerel Plutonium verblieb so im Meer und Eis rund um Thule. Plutonium ist ein hochgiftiges Schwermetall, welches nach Inhalation oder Aufnahme weniger Mikrogramm mit der Nahrung zu schweren Nierenschäden führen und Leber- oder Lungenkrebs verursachen kann. Die Aufnahme von Plutonium durch die Nahrung ist ein relevantes Gesundheitsrisiko für die indigenen Inughuit in der Region rund um Thule geworden, da deren Ernährung vor allem aus Fisch und Meeressäugern besteht, deren Fleisch durch das Plutonium kontaminiert wurde. Vor allem die Bewohner nahe gelegener Siedlungen wie Narssarssuk sind betroffen. Epidemiologische Studien ihres Gesundheitszustandes wurden jedoch nie veröffentlicht.
Die dänischen Aufräum- und Dekontaminationsarbeiter berichten allerdings von einer erheblichen Rate an Krebserkrankungen und Todesfällen unter ihren Kollegen. Bei einer Erhebung aus dem Jahr 1995 wurden in einer Stichprobe von 1.500 Arbeitskräften 410 Todesfälle durch Krebserkrankungen gefunden. Ähnliche Studien wurden an den US-amerikanischen Arbeitern nie durchgeführt, obwohl sie dem radioaktiven Material stärker ausgesetzt waren als ihre dänischen Kollegen.
Ausblick
Nach den Unfällen bei Palomares und Thule wurden die regulären Patrouillenflüge mit Atomwaffen 1968 eingestellt. Im Jahr 1996 stimmte die dänische Regierung einer Entschädigung für die an der Dekontamination von Thule beteiligten Arbeiter in Höhe von 50.000 Kronen pro Person zu. Im Jahr 2008 veröffentlichte die BBC Forschungsergebnisse, die zeigten, dass eine der vier verlorenen Atombomben vermutlich niemals gefunden oder geborgen wurde. Eric Schlosser hingegen schreibt in seinem Buch, dass nur Teile der Bombe nicht gefunden werden konnten. Mehr als vier Jahrzehnte nach dem Unfall sind immer noch nicht alle Unterlagen über den Vorfall freigegeben. Auch wurden keine epidemiologischen Untersuchungen durchgeführt, die die gesundheitlichen Folgen der radioaktiven Verseuchung für die Lokalbevölkerung oder die US-amerikanischen Arbeiter analysieren. Auch diese Menschen sind Hibakusha – Opfer von Atomwaffen.
Bearbeitungsstand: Januar 2018
Quellen:
IPPNW: Hibakusha Weltweit, Ausstellung, 2014
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