Atomwaffen A-Z

Blue Peacock

Britischer Atomwaffentyp

Im Kalten Krieg wollten die Briten offenbar um jeden Preis eine Besetzung Deutschlands durch die Sowjets verhindern. Nukleare Landminen auf Basis von jetzt freigegebenen Geheimdokumenten, sollten im Kriegsfall ganze Landstriche verseuchen. Der britische Historiker David Hawkings, bis 2007 am Atomic Weapons Establishment (AWE) der britischen Regierung beschäftigt, veröffentlichte im AWE-eigenen „Discovery“-Magazin Details über die Mine aus britischen Regierungsdokumenten, die jahrzehntelang geheim waren und jetzt freigegeben wurden. Demnach konstruierte das Armament Research and Development Establishment in Fort Halstead bei Kent, wo seit 1947 das britische Atomwaffen-Programm stationiert war, die Super-Mine zur Zerstörung von Gebäuden und anderen Strukturen. Darüber hinaus sollte der Atomsprengsatz (Codename „Blue Peacock“) eine Besetzung Deutschlands durch die Sowjets verhindern - durch ein Prinzip, das schon Hitler und Stalin während des Kriegs in Russland auf verbrecherische Weise benutzt hatten: das der „verbrannten Erde“.

„Eine geschickt platzierte Mine würde nicht nur Gebäude und Strukturen im weiten Umkreis zerstören, sondern durch Kontaminierung auch die Besetzung des Gebiets durch den Feind verhindern“, zitiert Hawkings einen Bericht des obersten Waffenentwicklers der britischen Armee, der Mitte der fünfziger Jahre verfasst wurde. Als geeignete Ziele tauchten darin Industrieanlagen, Ölraffinerien, Kanäle, Bahnhöfe sowie Bewässerungs- und Wasserkraftanlagen wie etwa Talsperren auf. In der Nähe solcher Orte hätte der Einsatz einer Nuklearwaffe wahrscheinlich tausende, wenn nicht gar zehntausende Menschenleben gefordert.

Von einem Mini-Sprengsatz konnte im Fall von „Blue Peacock“ keine Rede sein. Die Mine basierte auf dem Design der britischen Atombombe „Blue Danube“, die seit November 1953 zum Arsenal der Royal Air Force gehörte. Ihr Herzstück war eine von hochexplosivem Material umschlossene Plutoniumkugel. „Blue Danube“ wog rund 4,5 Tonnen, „Blue Peacock“ aber fiel noch wuchtiger aus. Dank seiner gewaltigen Stahlhülle brachte der Trumm ein Gewicht von sieben Tonnen auf die Waage. Seine Sprengkraft sollte mit zehn Kilotonnen TNT-Äquivalent fast halb so groß sein wie die der Nagasaki-Bombe, die im August 1945 rund 70.000 Menschen auf der Stelle und mehrere zehntausend durch Folgeschäden getötet hatte. Bei einer Detonation in zehn Metern Tiefe hätte die Mine, so zitiert Hawkings das Handbuch, einen 200 Meter breiten Krater gerissen.

Wäre ein Angriff der Roten Armee als wahrscheinlich eingestuft worden, hätte die britische Rheinarmee die Minen vergraben, auf der Oberfläche platzieren oder in Flüssen und Seen versenken sollen. Die Detonation wäre per Draht von einem maximal fünf Kilometer entfernten Befehlsstand oder durch einen Acht-Tage-Zeitzünder ausgelöst worden. Gegen Entschärfung war die Höllenmaschine durch ein Drucksystem und einen Schalter geschützt, der jede Lageveränderung registriert. „Wäre die Mine bewegt, ihre Hülle durch Gewehrfeuer beschädigt oder mit Wasser geflutet worden, wäre sie innerhalb von zehn Sekunden explodiert“, erklärt Hawkings. Das britische Militär stand Ende der fünfziger Jahre offenbar kurz davor, den Sprengsatz in Deutschland auszubringen. Noch im Juli 1957 bestellte der zuständige Armeeausschuss laut Hawkings zehn Exemplare der Super-Mine, deren Entwicklung zu diesem Zeitpunkt nahezu abgeschlossen war. Doch nur drei Monate später kassierte das Armee-Hauptquartier den Beschluss, denn mittlerweile hatten sich in der Führung Zweifel breit gemacht.

Am 1. April 2004 - ohne Scherz - enthüllte das britische Nationalarchiv die bisher geheimgehaltenen Pläne einen Atomminengürtel quer durch Deutschland zu bauen. Dann wurde es bekannt: Um die Zündelektronik der Bombe von den kalten Temperaturen der mitteleuropäischen Winter zu schützen, haben sie Hühner statt eine Heizanlage eingesetzt. Diese sollten die elektrischen Komponenten mit ihrer Körperwärme wie Eier brüten.

„Die Waffe war zu groß und zu schwer, und seinerzeit wurden bereits kleinere und leichtere Gefechtsköpfe entwickelt“, erklärt Hawkings. Der radioaktive Niederschlag nach einer „Blue Peacock“-Explosion sei als unakzeptabel eingestuft wurden. Zudem beschlichen die Armeeführung Zweifel, ob es politisch angebracht sei, heimlich nukleare Minen auf dem Gebiet eines verbündeten Landes zu verstecken. Im Februar 1958 beschloss das britische Verteidigungsministerium das Ende des Projekts. „Blue Peacock“ starb unspektakulär: Die Dokumente verschwanden in Geheimarchiven, einer der beiden Prototypen wurde wahrscheinlich bei Versuchen zerstört. Der zweite sorgt heute in der südenglischen Provinz für wohliges Schaudern, als Highlight der historischen Sammlung des AWE in Aldermaston, Berkshire.

Bearbeitungsstand: Februar 2009

► Weitere Informationen über britische Atomwaffen

Quellen:

Becker M: Atom-Minen sollten Deutschland verwüsten, Spiegel Wissenschaft, 21.07.2003
Hawkings D: Blue Peacock, the British Army's forgotten weapon, Discovery, 14.10.2002
Kringiel D: Englands gackernde Atombombe, Spiegel Geschichte, 02.05.2018

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