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via Wettrüsten

Nukleares Wettrüsten

engl.: nuclear arms race

Wettrüsten ist eine Situation, in der Staaten sich in einem Wettlauf befinden, ihre militärischen, technologischen Fähigkeiten weiter zu entwickeln, um ihre Konkurrenten zu übertreffen. Dies kann als Reaktion auf die Aufrüstung anderer Staaten verstanden werden, die sicher stellen soll,im Falle einer Konfrontation wettbewerbsfähig zu bleiben oder die Oberhand zu behalten. Wettrüsten kann zu einer Rüstungsspirale führen, in der sich die beteiligten Parteien immer weiter aufschaukeln. Diese führt ihrerseits wieder zu mehr Spannung und Eskalation.

Historisch betrachtet fand zunächst das nukleare Wettrüsten bilateral zwischen den USA und der Sowjetunion statt. Die USA waren nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1949 die einzige Atommacht der Erde. Das wurde von der Sowjetunion als existentielle Bedrohung empfunden. Die UdSSR testete 1949 ihre erste Atombombe. Die USA verloren damit früher als erwartet ihre Kernwaffenmonopolstellung. Damit begann ein nukleares Wettrüsten zwischen Ost und West. Es galt, den Gegner mit Hilfe von Atomwaffen abzuschrecken.

Während des Kalten Krieges konzentrierten sich sowohl die USA als auch die Sowjetunion zunächst vorwiegend auf die Entwicklung raketengetriebener Fernwaffen. Ab Mitte der 50er Jahre konzentrierten sie sich auf den Bau von Interkontinentalraketen.

Am 4. Oktober 1957 gelang es der Sowjetunion als erstes Land, einen kugelförmigen Satelliten namens „Sputnik I“ in die Erdumlaufbahn zu schießen. Der Westen befand sich damit in einem technologischen Rückstand gegenüber der kommunistischen Welt. Einen Monat später startete die UdSSR bereits ihren zweiten Erdsatelliten „Sputnik II“, der ein sensationelles Gewicht von 508 Kilogramm hatte. Die UdSSR war damit in der Lage, Atombomben von irgendeinem Punkt auf der Erde in die USA zu schießen. Die USA waren zum ersten Mal verwundbar.

Als Reaktion auf die russischen Erfolge, bewilligte die US-amerikanische Regierung Milliardenbeträge, um ihren Rückstand auf dem Gebiet der Raumfahrt aufzuholen.

Die Erfolge auf dem Gebiet der Raumfahrt wurden von den beiden Supermächten auch auf militärischer Ebene genutzt. Sie schossen zahlreiche Spionagesatelliten ins All, errichteten in weitgehend unbewohnten Gebieten hunderte von Bunkern mit abschussbereiten Raketen ein und auf den Weltmeeren patrouillierten raketentragende Unterseeboote. Jede Seite verfügte über genügend Raketen für einen zweiten Schlag; so wagte niemand den ersten Schritt. Damit war das „Gleichgewicht des Schreckens“ erreicht.

Zwar bauten weitere sieben Staaten erfolgreich Atomwaffen, aber kein weiterer Staat entwickelten nahezu so viele Sprengköpfe wie die USA und die Sowjetunion. Heute sind über 90 Prozent der weltweiten Atomwaffen in den Arsenalen dieser beiden Ländern. Allerdings besteht ein zweites nukleares Wettrüsten zwischen Indien und Pakistan. Auch China ist der Meinung, es sei Notwendig, mehr und effektivere Atomwaffen zu entwickeln, um die Raketenabwehr der USA zu überwinden und weiterhin glaubwürdig abschrecken zu können.

Mit dem Ende der Periode der Konfrontation durch vermehrten Verhandlungen zwischen den führenden Kräften, das Ende des Kalten Krieges, und schließlich den Zusammenbruch der Sowjetunion 1991, schien das Wettrüsten beendet zu sein. Rüstungskontrollverträge wie START 1, der ABM-Vertrag und der INF-Vertrag, wurden bilateral vereinbart und Vertrauen wurde gewonnen. Die Zahl der Atomwaffen weltweit wurde massiv reduziert. Der ABM-Vertrag wurde 2001, der INF-Vertrag 2019 von den USA gekündigt. Danach begann eine neue Aufrüstung und das Vertrauen der 90er Jahre wurde verspielt.

Es findet seit einigen Jahren wieder ein offenes Wettrüsten zwischen den Atomwaffenstaaten statt, die ohne Ausnahme ihre Atomwaffenarsenale modernisieren. Bei China, Indien und Pakistan erhöht sich die Zahl der Atomwaffen. Bei den anderen Atomwaffenstaaten lässt sich das Wettrüsten vor allem im technischen Bereich bemerkbar machen: Es werden vor allem neue Trägersystemen mit erweiterten Fähigkeiten entwickelt, die mehr Einsatzmöglichkeiten zu ermöglichen.
Beispiele solcher Entwicklung sind: Miniaturisierung von Sprengköpfen, größere Reichweite bei ballistischen Raketen, mehr Präzision beim Atomwaffeneinsatz, bessere Zielgenauigkeit durch Satellitenbildgebung, Lenksysteme und Navigation, wählbare Sprengkraft, Hyperschalltechnologie für Flugkörpern, Raketenabwehr, Entwicklung von kleineren und kompakteren Kernreaktoren für den Antrieb, Cyber bzw. Elektronikkriegsführung.

Diese Beispiele verdeutlichen, welche Rolle im Wettrüsten wie technologische Innovationen im nuklearen Bereich weiterhin spielen und wie sie die Fähigkeiten von Ländern zur Entwicklung und Verwendung von Kernwaffen beeinflussen können.

Seit Jahren stagniert die Zahl der Atomwaffen weltweit bei etwa 12-13.000 und die Rüstungskontrolle bröckelt. Es gibt nur noch einen bilateraler Vertrag zwischen Russland und den USA zur Reduzierung der Atomwaffen: den New START-Vertrag von 2010. Er wurde zwar 2022 für fünf Jahre verlängert, wurde aber von Russland im Februar 2023 zunächst ausgesetzt (nicht gekündigt). Im Moment zeichnet sich weder ab, dass dieser Vertrag wiederbelebt wird, noch gibt es Anzeichen dafür, dass ein Nachfolgevertrag verhandelt wird. Wenn der New START Vertrag 2026 ohne Nachfolgevertrag ausläuft, wird das Wettrüsten nicht mehr gezügelt.

Im Artikel VI des Nichtverbreitungsvertrags verpflichten sich alle 192 Staatsparteien, inklusiv der fünf Atomwaffenstaaten USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien, „in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft...“. Der Vertrag trat im Jahr 1970 in Kraft. xh

Bearbeitungsstand: August 2023

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