Atomwaffen A-Z

via No First Use (NFU)

Nicht-Ersteinsatz-Politik

engl.: No-First-Use (NFU) policy

Eine Politik des Verzichts auf den Ersteinsatz von Atomwaffen (no-first-use policy), auch Nichtersteinsatzpolitik genannt, bedeutet, dass ein Land oder Bündnis erklärt, auf einen Angriff mit Atomwaffen zu verzichten, solange kein atomarer Angriff gegen das eigene Land oder auf seinen Bündnispartner erfolgt. Der Einsatz mit Atomwaffen als Zweiter bleibt bestehen und gilt dann als Vergeltungsschlag.

Bisher haben China (1964), die Sowjetunion (Brezhnew, 1982) und Indien (1999) solche Erklärungen abgegeben. Russland nahm als Nachfolgestaat der Sowjetunion diesen Verzicht 1993 wieder zurück.

1998 in seinem ersten offiziellen Auftritt als deutscher Außenminister bei einem NATO-Treffen in Brüssel, brachte Joschka Fischer das Thema einer Nichtersteinsatzpolitik in die NATO ein. Sein Vorstoß wurde sofort und heftig zurückgewiesen. Ein Vertreter Frankreichs in der NATO sagte, eine solche Politik sei mit der nuklearen Abschreckung nicht vereinbar. US-Verteidigungsminister William Cohen reagierte auf Fischers Äußerungen am 23.11.1998 in „Der Spiegel“ zur Nichtersteinsatzpolitik mit der Feststellung, die Ersteinsatzoption sei ein integraler Bestandteil der strategischen Doktrin der NATO. Allerdings bekam Fischer vom ehem. Oberbefehlshaber der US-Atomstreitkräfte General Lee Butler Unterstützung, der schrieb in einem Brief: "Was auch immer der Nutzen der Politik des Ersteinsatzes während des Kalten Krieges war - sie ist völlig unangemessen für die neue globale Sicherheitslage, schlimmer noch, sie ist kontraproduktiv für das Ziel der (atomaren) Nichtweiterverbreitung und unethisch für die Werte einer demokratischen Gesellschaft."

Argumente für und gegen eine erklärte Politik des Nichtersteinsatzes wurden über viele Jahre öffentlich ausgetauscht. Kritiker*innen der Ersteinsatzoption meinen, dass sie zu einer nuklearen Aufrüstung und Ausbreitung von Atomwaffen führen würde. Durch die Androhung eines Angriffes mit Atomwaffen würde der Gegner erst recht motiviert, Atomwaffen zu entwickeln, um selbst eine „Abschreckung“ aufzubauen oder, wenn der Staat bereits im Besitz von Atomwaffen sei, weiter nuklear aufzurüsten.

Juristisch betrachtet, waren Erklärungen einer solchen Politik nicht verbindlich, sondern freiwillig. So wurde oft in Frage gestellt, ob der erklärte Verzicht auf einen Ersteinsatz durch China oder Indien verläßlich sei. China hat seine Politik jedoch stets eingebracht und andere Länder aufgefordert, eine Nichtersteinsatzpolitik zu übernehmen. Im August 2023 wiederholte China seine Position bei der Konferenz zum Nichtverbreitungsvertrag und forderte die Atomwaffenstaaten einen Vertrag zum Nichtersteinsatz zu verhandeln und abzuschließen.

Eine öffentliche Diskussion entstand 2016 vor der Veröffentlichung einer neuen Atomwaffenstrategie der USA unter der Obama-Administration. Bruce Blair von der Global Zero-Kampagne schrieb in „Politico“, er glaube, Obama wird erklären, die USA werden nie Atomwaffen als Erster einsetzen. Diese Hoffnung wurde allerdings nicht realisiert. Auch als Joe Biden US-Präsident wurde, wuchs die Hoffnung wieder, dass eine Nichtersteinsatzpolitik eingeführt werden könnte, da er 2020 diese in seiner Präsidentsschaftskampagne versprach. Die neue US-Atomwaffendoktrin 2022 enthielt jedoch weiterhin die Ersteinsatzoption.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres rief zum Hiroshimatag 2022 alle Atomwaffenstaaten auf, auf den Ersteinsatz mit Atomwaffen zu verzichten. xh

Bearbeitungsstand: Dezember 2023

Quellen:

Arms Control Association: Germany Raises No-First-Use Issue at NATO Meeting, Arms Control Today, 11/1998
Middel A: Fischer scheitert mit Atomwaffen-Vorschlag, Die Welt, 09.12.1998
Zumach A: US-Stratege gegen Ersteinsatz von Atomwaffen durch die NATO, taz, 09.12.1998
Sun Xiaono: Statement by director-General of the Department of Arms Control of the Foreign Ministry on China, General Debate, NPT PrepCom, 31.07.2023
Kimball D: Biden Policy Allows First Use of Nuclear Weapons, Arms Control Today, April 2022
Guterres A: Secretary-General's remarks at the anniversary of the atomic bombing of Hiroshima, 06.08.2022

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