Budapester Memorandum, 1994
engl.: Budapest Memorandum
Präsidenten Clinton, Jelzin und Krawtschuk nach der Unterzeichnung der trilateralen Erklärung am 14. Januar 1994
Am 5. Dezember 1994 wurde das „Budapester Memorandum“ im Rahmen eines Gipfeltreffens der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) unterzeichnet. Gleichzeitig trat der START-I-Vertrag in Kraft (von Russland Anfang 2023 ausgesetzt).
Das Memorandum war eine Vorbedingung für die Unterzeichnung und Ratifizierung des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages (NVV) sowie des umfassenden Atomteststoppvertrages (CTBT) der Ukraine, Kasachstans und Belarus.
Im der Gipfelerklärung von Budapest vom heißt es dazu:
„In Anbetracht der neuen Bedrohungen durch die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen haben wir grundlegende Prinzipien vereinbart, die uns in unserer einzelstaatlichen Politik leiten und uns auf unsere gemeinsamen Ziele der Nichtverbreitung hinführen sollen. Wir legen ein festes Bekenntnis zur uneingeschränkten Erfüllung sowie zur unbefristeten und bedingungslosen Verlängerung des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen ab. Wir begrüßen die jüngsten Erklärungen der vier Kernwaffenstaaten in der KSZE-Region in Bezug auf Kernwaffentests, da diese der Aushandlung eines umfassenden Kernwaffen-Teststoppvertrags dienlich sind…“. (Gipfelerklärung von Budapest, Ziffer 12)
Mit dem „Budapester Memorandum“ verpflichteten sich die USA, Russland und Großbritannien (China und Frankreich gaben abgeschwächte Erklärungen ab) in getrennten Erklärungen, die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit sowie die existierenden Grenzen von Belarus, der Ukraine und Kasachstan zu respektieren. Im Gegenzug sollten diese Länder auf den Besitz von Nuklearwaffen verzichten.
Artikel 2 des Memorandums enthält die Verpflichtung der USA, Frankreichs, Russlands und Großbritanniens, auf Gewalt bzw. auf die Androhung von Gewalt zu verzichten. Gegen die drei Unterzeichnerstaaten Ukraine, Kasachstan und Belarus darf keine Waffengewalt eingesetzt werden, außer zur Selbstverteidigung oder anderweitig in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen. Im Artikel 3 wurde auch auf jeglichen ökonomischen Zwang verzichtet.
Als Ergebnis dieser Vereinbarung wurden die in diesen Staaten noch aus Zeiten der Sowjetunion stationierten Nuklearwaffen 1995 und 1996 nach Russland abgezogen, das als rechtlicher Nachfolgestaat der UdSSR Atomwaffenstaat geblieben war.
Die USA sehen den Rechtscharakter des Memorandums als umstritten an, da es bestimmte Formulierungen nicht enthält, die es für die USA zu einem rechtsverbindlichen Vertrag machen würden. Daher blieb die Vereinbarung für die USA auf der Ebene einer politischen Willenserklärung.
Ukraine
Die Ukraine hatte dabei eine besondere Stellung. Mit dem Ende des Kalten Krieges "erbte" das Land 176 strategische und mehr als 2.500 taktische Atomwaffen - das drittgrößte Atomwaffenarsenal der Welt. Alle Kontrollsysteme waren jedoch in Russland und die ukrainischen Militärs hatten keine Startcodes für die Atomwaffen, die mit PAL-Sperren ausgestattet waren. Somit hatte Kiew keine direkte Verfügungsgewalt über diese Atomwaffen.
Mit der Einstellung von Gaslieferungen an die Ukraine, mit der sie eine Erhöhung des Gaspreises erzwingen wollte, beging die russische Regierung bereits 2006 den ersten Verstoß gegen die Vereinbarung.
Die USA und Großbritannien werfen Russland vor, mit der Annexion der Krim 2014 gegen das Memorandum verstoßen und die territoriale Integrität der Ukraine verletzt zu haben. Russland sieht die Einmischung der EU und der USA bei den Unruhen (Euromaidan) in Kiew 2014 als Bruch der Vereinbarung: Es kritisiert dabei die Sanktionen gegen die damalige Staatsführung sowie die Anerkennung der neuen Staatsführung nach der Machtübernahme.
Als Vereinbarung ohne Sanktionsmechanismus blieb das Memorandum schließlich wirkungslos. Russland behauptete im April 2014, dass die Krim freiwillig aus der Ukraine ausgetreten und daher vom Budapester Memorandum nicht betroffen sei.
Die USA sahen sich auch nicht in der Pflicht, nach der Krim-Annexion die Ukraine zu verteidigen, weil laut dem ehem. US-Botschafter in Kiew Jeffrey Payett das Memorandum „keine Sicherheitsgarantien“ enthalte, sondern nur eine Verpflichtung, die Souveränität und die Grenzen der Ukraine zu respektieren. Allerdings besteht laut Artikel 4 eine klare Verpflichtung, „Hilfe zu leisten, falls die Ukraine Opfer eines Aggressionsaktes oder einer Angriffsdrohung wird, wo Atomwaffen verwendet werden“. Ob hier Atomwaffendrohungen im Spiel waren, ist Interpretationssache.
Viele Rechtsexpert*innen sind der Meinung, dass das Memorandum mit dem russischen Angriffskrieg im Februar 2022 auf die Ukraine, endgültig hinfällig geworden ist. Das Memorandum hat sich als Sicherheitsschutz für die Ukraine als nicht wirksam erwiesen, weil es keine klaren Verpflichtungen oder Durchsetzungsmechanismen enthielt. Es wird teilweise argumentiert, die Ukraine müsse aus diesem Grund schnellstens in die NATO aufgenommen werden, wie diese auch fordert.
Nach der Annexion der Krim durch Russland 2014 – und erneut nach der russischen Invasion 2022 – wurde oft die Frage gestellt, ob die Ukraine die Atomwaffen hätte behalten sollen. Der ehem. Präsident Leonid Krawtschuk sagte dazu 2014 in einem Interview mit der Deutschen Welle, dass sich diese Frage nicht wirklich gestellt hätte, weil der Preis zu hoch gewesen wäre. Eine Eigenproduktion von nuklearen Sprengköpfen für die in der Ukraine produzierten Trägersysteme wäre zu teuer gewesen und „die Staatskasse war leer“, so Krawtschuk. Allerdings erklärte die Ukraine damals ihre Absicht, operationelle Kontrolle über die strategischen Atomwaffen zu erzielen, die auf ihrem Territorium geblieben waren. Russland machte daraufhin deutlich, dass dies als Kriegshandlung interpretiert werden könnte.
Der Streit über die Einhaltung des Memorandums durch die Ukrainekrise hat eventuell Folgen für das nukleare Nichtverbreitungsregime. Die Verlässlichkeit der Sicherheitsgarantien der Atomwaffenstaaten, Atomwaffen nie gegen Staaten einzusetzen, die keine Atomwaffen besitzen, wird damit in Frage gestellt. xh
Bearbeitungsstand: Dezember 2024
► Budapester Memorandum (Ukraine) im Wortlaut (in englischer Sprache)
► Gipfelerklärung von Budapest der KSZE (in deutscher Sprache)
Quellen:
ApuZ: Perspektiven auf das Nato-Ukraine-Verhältnis, 15.11.2023
Bundeszentrale für politische Bildung: 5. Dezember 1994: Budapester Memorandum, kurz& knapp, 02.12.2024
Federation of American Scientists: Ukraine Special Weapons, keine Datumsangabe
Goncharenko R: Ukraine, Russland und der Westen, Deutsche Welle, 04.12.2014
Ministry of Foreign Affairs of Ukraine: Statement on the occasion of the 30th anniversary of the Budapest Memorandum, 03.12.2024
Moore TC: The Role of Nuclear Weapons During the Crisis in Ukraine, 29.07.2014
Unian: Lavrov accuses Ukraine of violating Budapest Memorandum, 15.01.2018