Atomwaffen A-Z

WEISSKOPF Victor

1908 - 2002

Weisskopf war ein österreichisch-amerikanischer Physiker. Während des Manhattan-Projekts trug er zur Entwicklung von Atomwaffen bei. Später setzte er sich jedoch für Abrüstung und Frieden ein, kritisierte nukleare Aufrüstung und warnte vor den Gefahren atomarer Konflikte.

Victor Weisskopf wurde am 19. September 1908 in Wien geboren. Obwohl er nie den Nobelpreis erhalten hat, gehört er zu den bedeutendsten und einflussreichsten Physikern des 20. Jahrhunderts. Zum Aufbau der 1927 vollendeten Quantentheorie war er ein paar Jahre zu jung, aber die Kernphysik und die sich aus ihr entwickelnde Elementarteilchenphysik hat er mitgestaltet wie nur wenige andere. Seine Wanderjahre verbrachte Weisskopf in den Zentren der modernen Physik, in Göttingen, wo er im April 1931 bei Max Born promovierte, in Leipzig bei Heisenberg und in Berlin als Assistent bei seinem österreichischen Landsmann Erwin Schrödinger. Auch der Einfluss von Wolfgang Pauli aus Zürich auf ihn war groß, noch größer der von Niels Bohr aus Kopenhagen. Dänemark habe ihm Glück gebracht, schreibt Weisskopf in seiner Autobiografie; dort habe er nicht nur in Niels Bohr seinen geistigen Vater gefunden, sondern mit Ellen Tvede auch seine ideale Lebensgefährtin.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland wollte Weisskopf so weit weg von dem mörderischen Hitlerregime wie nur irgend möglich. Im September 1937 übersiedelte er mit seiner jungen Frau nach Rochester in die Vereinigten Staaten. Die Stelle am Physik-Fachbereich der dortigen Universität hatte er auf Empfehlung von Niels Bohr erhalten. Im Krieg beteiligte er sich am US-amerikanischen Atombombenprojekt in Los Alamos, wo er eine führende Rolle als stellvertretender Leiter der theoretischen Abteilung spielte. Die erste Atombombenexplosion über der japanischen Stadt Hiroshima sei zu rechtfertigen, sagte Weisskopf später, aber nicht die zweite über Nagasaki drei Tage darauf. Sie habe der japanischen Regierung zu wenig Zeit gelassen, sich zur Kapitulation durchzuringen.

Nach dem Krieg ging Weisskopf als Professor an das berühmte MIT, das Massachusetts Institute of Technology, eine der führenden Hochschulen des Landes. Mit einigen Kollegen begründete er die Association of Los Alamos Scientists, die sich mit den Problemen der Weltpolitik im Atomzeitalter befasste. Ebenso engagiert wie vergeblich wandten sie sich gegen die Entwicklung der Wasserstoffbombe. Diese sei keine Waffe, erklärten sie, sondern ein Werkzeug zur Ausrottung ganzer Völker. Die friedliche Nutzung der Atomenergie hingegen hat Weisskopf immer befürwortet. Er war und blieb überzeugt, dass Atomreaktoren sicher betrieben werden können. Das MIT gewährte seinen Professoren großzügig Frei- und Forschungssemester. Die gewonnene Zeit verbrachte Weisskopf in Europa. Er sagte von sich selbst, er fühle sich als "atlantischer Bürger", der auf beiden Seiten des Ozeans zu Hause ist.

Die Gründung des europäischen Forschungszentrums Cern bei Genf Anfang der 50er Jahre verfolgte er mit großer Sympathie. Der erste Generaldirektor war sein Freund Felix Bloch, ein in der Schweiz geborener US-Amerikaner, der aber nur ein Jahr im Amt blieb. Als dessen Nachfolger Cornelis Bakker 1960 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, richteten sich die Hoffnungen der Cern-Physiker auf Weisskopf. Am 1. Juli 1961 wurde er offiziell zum Cern-Generaldirektor ernannt. Aus den ursprünglich geplanten zwei Jahren Amtszeit wurden schließlich fast fünf. Weisskopfs Vorbild für seine Tätigkeit im Cern war Robert Oppenheimer, der im Krieg das amerikanische Atombombenprojekt geleitet hatte. Wie dieser bewies er erstaunliches Geschick in der Führung von Wissenschaftlern. Immer war er zur Stelle, wenn ein entscheidendes Experiment vorbereitet wurde oder in einem Gremium eine wichtige Entscheidung anstand. Er beherrschte die Sprachen fast aller Cern-Mitgliedsländer. Durch seine Lehrtätigkeit an der Pariser Sorbonne hatte er auch fließend Französisch gelernt.

Im Jahre 1976 wurde Weisskopf fast gleichzeitig Mitglied der sowjetischen Akademie der Wissenschaften und der Päpstlichen Akademie, zu deren Mitgliedern einst auch Galileo Galilei gehört hatte. Bei der Feier dieser Akademie zum hundertsten Geburtstag Einsteins im April 1979 war Weisskopf einer der drei Festredner in Rom. Das größte Aufsehen erregte dort jedoch der Papst, als er die Verurteilung Galileis durch die Inquisition einen schweren Fehler nannte. Johannes Paul II. bestätigte ausdrücklich die These Galileis: Zwischen der Natur als dem Werk und der Bibel als dem Wort Gottes könne es nie einen Widerspruch geben. Die ehrwürdige Päpstliche Akademie erhielt neue Bedeutung, als sie sich auf Anregung Weisskopfs zur Plattform für den Kampf gegen den Rüstungswettlauf und den drohenden Atomkrieg entwickelte. Weisskopf selbst hatte Gelegenheit zu mehreren Gesprächen mit dem Papst. Themen wie Feminismus, Abtreibung und Geburtenkontrolle mussten freilich ausgeklammert bleiben.

Weisskopf war an den meisten wichtigen Entwicklungen in der modernen Physik beteiligt. Als US-Präsident Ronald Reagan im Jahre 1983 seine Strategische Verteidigungsinitiative vorstellte, wurde auch der berühmte Physikprofessor ins Weiße Haus eingeladen. Mit der Mobilisierung der Wissenschaft wollte Reagan einen Schutzschild gegen sowjetische Raketen schaffen. Weisskopf sprach sich sofort gegen diese Pläne aus. Sie würden nur die Gegenseite veranlassen, ihren Raketenvorrat zu vergrößern, um die zu erwartenden Verluste auszugleichen.
Am 21. April 2002 starb der große Gelehrte und Humanist in Newton, Massachusetts, im Alter von 94 Jahren. (Quelle: Armin Hermann: Berliner Zeitung, 19. September 2008)

Bearbeitungsstand: Februar 2009

Siehe auch: CERN
Siehe auch: Los Alamos
Siehe auch: Oppenheimer
 

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