Weltraumrüstung
engl.: space weaponisation
Am 4.10.1957 wurde vom russischen Weltraumbahnhof Baikonur der erste künstliche Satellit, der Sputnik ('Wegbegleiter'), ins All geschossen. In dieser Zeit des Kalten Krieges war Amerika nach dem Verlust des 'Atomwaffenmonopols' im Jahre 1949 ins technische Hintertreffen geraten und es begann der Wettlauf um die Vorherrschaft im Weltraum. Durch den Sputnik zeigte sich den USA zum einen ihre Verwundbarkeit durch das Vorhandensein leistungsfähiger Trägersysteme für ballistische Raketen seitens der Sowjetunion, zum anderen wurde die Vorherrschaft im All als Indikator für die Vorherrschaft auf der Erde gesehen. Im Zuge des fortschreitenden Eindringens des Menschen in den Weltraum wurden erste Verträge und Übereinkommen geschlossen, die das Miteinander im All regelten. Dies betraf bedingt auch die militärische Nutzung des Weltraums durch das Verbot der Stationierung von Massenvernichtungswaffen durch den Weltraumvertrag von 1967. Aus den technischen Entwicklungen während des Wettlaufs im All entstand auch der Wunsch, ballistische Raketen oder Satelliten mit Raketen oder anderen Technologien an ihrer Einsatzfähigkeit zu hindern und dadurch die eigene Gefährdung zu verringern. Bereits Mitte der fünfziger Jahre begannen in der Sowjetunion erste Planungen zur Weltraumbewaffnung, welche sich in der Entwicklung und des Testens eines Anti-Satellitensystems (ASAT) zwischen 1968-82 fortsetzte. Auch die USA arbeiteten seit 1957 an der Bestückung einer Mittelstreckenrakete mit Nuklearsprengköpfen für ASAT-Missionen. Von der Idee der nuklear bestückten ASAT-Systeme wandte sie sich in den 80'er Jahren ab und begann mit der Entwicklung alternativer Methoden, die in den - damals nicht durchführbaren - Plänen zur Weltraumverteidigung SDI (Strategic Defensive Initiative) mündeten. US-Präsident Reagan präsentierte sie im Jahre 1983.
Neben den technischen Beschränkungen hemmte auch der 1972 zwischen den USA und der Sowjetunion geschlossene ABM-Vertrag eine aktive Bewaffnung des Weltraums. Dieser Verbot zum einen die Entwicklung, den Test sowie die Stationierung strategischer Raketenabwehrsysteme mit Ausnahme fest auf dem Land stationierter Systeme. Zum anderen verpflichteten sich die beiden Vertragsparteien ausdrücklich, keine weltraumgestützten ABM-Systeme oder Bestandteile zu entwickeln, zu erproben oder zu dislozieren. Im Bezug auf Weltraumwaffen im Allgemeinen konnte der Vertrag allerdings nur beschränkt Wirkung zeigen. Die aufgrund der grundsätzlichen Möglichkeit der Beschränkung von Weltraumwaffen nahe liegende Option, den ABM-Vertrag auf präzisere Beschränkungen einer möglichen aktiven Weltraumkomponente auszubauen wurde durch die Aufkündigung des ABM-Vertrages zum Juni 2002 seitens der USA obsolet.
Außer den USA und der früheren Sowjetunion gibt es heute weitere Raumfahrt treibende Nationen. Europa ist nicht nur in Form der ESA (European Space Agency) aktiv sondern koordiniert und steuert Weltraumpolitik auch durch die Europäische Kommission. Als Teil der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist satellitengestützte Infrastruktur der EU Mitgliedsstaaten bereits in Benutzung. Geplante Systeme wie der GPS-Konkurrent Galileo (in Dienst ab vermutlich 2013) und GMES (Global Monitoring for Environment and Security) besitzen auf Grund ihres Dual-Use-Charakters Potential auch für die militärische Nutzung.
Zunehmend dringen auch Schwellen- und Entwicklungsländer auf die Nutzung von weltraumbasierten Informationssystemen. Sie kaufen fertige Systeme bei kommerziellen Anbietern oder nutzen deren Dienste. Einige Länder entwickeln auch selbst Satelliten und sind zum Teil sogar in der Lage, diese in erdnahe Orbits zu bringen. Neben nationalem Prestige und militärischer Nutzung (z.B. bei den Kontrahenten Indien/Pakistan) spielen zunehmend auch der Anschluss an die Informationsgesellschaft und Herausforderungen wie der globale Klimawandel eine Rolle.
Die kommerzielle aber auch die militärische Nutzung des Weltraums hat seit Mitte der 1990er Jahre stark zugenommen. Eine Störung dieser weltraum-gestützten Telekommunikations-, Navigations- oder Erdbeobachtungs-Systeme könnte in Zukunft sowohl großen wirtschaftlichen Schaden zur Folge haben als auch Krisen heraufbeschwören. Das insbesondere von den USA propagierte Schutzbedürfnis der eigenen Weltrauminfrastruktur zeigt Beispielhaft diese Abhängigkeit vom Weltraum.
Im Januar 2007 hat die VR China eine kinetische Anti-Satellitenwaffe getestet. Noch vor Ende der Amtszeit von George W. Bush im Januar 2009 hat dieser Test die internationale Staatengemeinschaft aufgeschreckt. Auf der Erde hat eine kleine Renaissance der Rüstungskontrolle im Weltraum eingesetzt, vorerst allerdings beschränkt auf die EU und NGOs. Im Weltraum ist die Schrottproblematik durch diesen Test in erheblichem Maße verschärft worden. Die USA haben im Februar 2008 mit dem Abschuss eines außer Kontrolle geratenen Militärsatelliten reagiert, wozu (modifizierte) Teile des US-amerikanischen Raketenabwehrprogramms genutzt wurden.
Insbesondere in den Jahren der George W. Bush Administration hat es nahezu keine Bewegung hinsichtlich politischer Initiativen zur Ächtung von Weltraumwaffen gegeben. Dennoch hat die Verschärfung der Weltraumschrott Problematik durch die gestiegene Nutzung erdnaher Orbits zur Verabschiedung internationalen Richtlinien (debris mitigation guidelines, UN COPUOS), ausgehandelt durch die UNO, geführt. Auch die EU hat das länderübergreifende Interesse an der Eindämmung der Weltraumschrott-Produktion zum Anlass genommen und im Dezember 2008 einen Code of Conduct [Verhaltenskodex] für Weltraumaktivitäten vorgestellt. Damit hat die EU zum ersten Mal eine Initiative zur Rüstungskontrolle im Weltraum gestartet, wenn auch mit sehr bescheidenen Ansprüchen: das Dokument, dass in 2009 mit wichtigen Nicht-EU-Staaten verhandelt werden soll, erwähnt nicht einmal die einschlägigen Resolutionen der UN Vollversammlung oder der Genfer Abrüstungskonferenz (CD) und ist darüber hinaus rechtlich nicht bindend.
Nach wie vor gibt es trotz der Bedeutung des Weltraums nur wenige Verträge und Regelungen. Mit der Aufkündigung des ABM-Vertrages haben die USA die Umsetzung ihres Raketenabwehrprogramms durchgesetzt und einen Teilbereich von dem Weltraum betreffende Regelungen zunichte gemacht. Die fortschreitende technische Entwicklung und das Fehlen einer völkerrechtlich gültigen Norm deuten auf eine zukünftige Bewaffnung des Weltraums hin. Die Wirtschafts- und Finanzkrise der Jahre 2008/2009, die Schrottproblematik, die zunehmende Abhängigkeit von weltraumbasierter Infrastruktur und die Äußerungen der neuen US Regierung unter Barack Obama für einen Bann von Anti-Satellitenwaffen geben aber auch Anlass zur Hoffnung, dass ein Vertrag zum Verbot von Weltraumwaffen unter dem Dach der UNO erzielt werden kann. Dazu muss aber in der Genfer Abrüstungskonferenz der Graben zwischen den USA einerseits und China und Russland andererseits überwunden werden. Letztere haben sich in den vergangenen Jahrzehnten mit zahlreichen Vorschlägen für Verbotsverträge immer wieder die Zähne an der Blockadehaltung der USA gegenüber jeglichen internationalen Verträgen ausgebissen. Es gilt also, entstandene Frustrationen abzubauen und neues Vertrauen zwischen den beiden Lagern zu schaffen. Zurzeit (Sommer 2009) ist offen, ob die EU mit ihrer Code of Conduct Initiative diesbezüglich den richtigen Ton getroffen hat. (Quelle: armscontrol.de)
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Bearbeitungsstand: Oktober 2009