Atomwaffen A-Z

Atomwaffenunfälle

engl.: nuclear weapons' accidents

Das US-Energieministerium definiert einen Atomwaffenunfall als:

  • ein unerwartetes Ereignis, das Atomwaffen oder nukleare Komponenten beinhaltet, aus dem eines der folgenden Ergebnisse entsteht:
  • das unbeabsichtigte oder nichtautorisierte Starten, Zünden oder Einsetzen eines atomfähigen Waffensystems durch US-Streitkräfte oder US-unterstützte alliierte Streitkräfte
  • eine unbeabsichtigte oder nicht autorisierte oder nicht zu erklärende atomare Detonation
  • eine nichtnukleare Detonation oder das Brennen einer Atomwaffe oder nuklearen Komponente
  • radioaktive Verseuchung
  • Abwerfen einer Atomwaffe oder einer nuklearen Komponente
  • eine öffentliche Gefährdung, sei sie echt oder angenommen.

Die Geschichte zeigt, dass Atomwaffenunfälle von Anfang des Atomzeitalters an ein schwerwiegendes Problem darstellen. Öffentliche Informationen sind spärlich, und oft gilt die offizielle Linie "weder zu bestätigen noch zu dementieren", dass Atomwaffen in einen Unfall verwickelt waren.

Die letzte Veröffentlichung des Pentagons aus dem Jahr 1980 (!) führt 32 Unfälle zwischen 1950 und 1980 auf: Das ist mehr als ein schwerer nuklearer Unfall pro Jahr. Diese Liste ist sicher nicht vollständig und enthält auch keine "Zwischenfälle" mit Atomwaffen, sondern nur schwere Unfälle. Der Oberste Rechnungshof (GAO = General Accounting Office) berichtete jedoch, dass die Zahl der Un- und Zwischenfälle mit Atomwaffen alleine bei der Marine in den Jahren von 1965 bis 1983 bei 563 lag, wobei 330 Vorfälle möglicherweise nur Sicherheitsverletzungen waren. Somit liegt nach offiziellen Angaben die Zahl allein für die US-Marine bei mindestens 233 Unfällen. Ein Bericht des Sandia-Atomlabors von 1973 fußte auf einem Geheimdokument des Militärs mit der Aussage, dass es zwischen 1959 und 1973 insgesamt 1.250 Vorfälle mit US-Atomwaffen gegeben hätte, einschließlich 272 Unfällen, bei denen es zu einem Aufprall kam und manchmal sogar eine Explosion des konventionellen Sprengstoffes erfolgte.

Für andere Atomwaffenstaaten liegen noch weniger Informationen vor. Erst 2003 gelang es einem parlamentarischen Ombudsmann, vom britischen Verteidigungsministerium eine Liste von 20 Unfällen für den Zeitraum von 1960 bis 1991 zu erhalten. Bei den Unglücken handelt es sich um Fälle, bei denen Atomwaffen aus größerer Höhe herunterfielen oder ihre Zugmaschinen in Verkehrsunfälle verwickelt waren. In einigen Fällen kollidierten Atomwaffen mit einander und in einem Fall rutschte ein LKW mit Atomwaffen an einem Hügel ab und überschlug sich. Aus der Liste geht hervor, dass LKWs mit Atomwaffen in zwei Fällen auf britischen Straßen umkippten und zwei Nuklearkonvois in schwere Autounfälle verwickelt waren.

Die Geschichte der Marine der beiden Supermächte ist extrem durch Geheimhaltung und Lügen geprägt. Weder die US-amerikanische noch die russische Marine wollen, dass die Wahrheit über den Unfallrekord ans Licht kommt. Dennoch konnten Greenpeace und die norwegische Umweltstiftung Bellona einiges entdecken: mindestens 1.200 schwere Unfälle bis 1989, rund einer alle zwei Wochen. Es waren u.a. Schiffsuntergänge, Kollisionen von Schiffen oder mit U-Booten, Kollisionen mit Eisbergen, Explosionen und Brände. Sie sind auf offenem Meer, in Küstengewässern, in Schiffswerften und in Häfen überall auf der Welt geschehen. Viele Menschen sind dabei ums Leben gekommen. Durch diese Unfälle befinden sich mehr als 50 Atomsprengköpfe und neun Atomreaktoren auf dem Meeresboden.

Alle diese Unfälle hätten sich zu Katastrophen entwickeln können, manche sind es gewesen, ohne dass man genau erfassen kann, was die tatsächlichen Folgen sind. Die größte Katastrophe allerdings wäre ein durch einen Fehler ausgelöster Atomkrieg. Die Kubakrise ist das weltweit bekannteste Beispiel eines Beinahe-Atomkrieges. Dennoch gibt es mindestens fünf weitere Beispiele, die sich alle von der Kubakrise unterscheiden: Sie ereigneten sich, weil US- oder russisches Führungspersonal auf einen Fehlalarm reagierte, der durch eine Fehlfunktion der Warnsysteme oder eine falsche Interpretation von Ereignissen ausgelöst wurde.

Alle diese Zwischenfälle waren kurz - nicht mehr als 10 Minuten lang. Führende Militärs mussten dabei in einer sehr kurzen Zeitspanne entscheiden, ob ein nuklearer "Rückschlag" einzuleiten war, bevor die eigenen Atomwaffen vernichtet worden wären. Bis jetzt haben sie richtig entschieden. Sie sind jedoch nur Menschen, die unter extrem stressigen und ungesunden Bedingungen überlange Schichten leisten müssen. Heutzutage befinden sich immer noch rund 4.000 Atomwaffen in höchster Alarmbereitschaft. Eine Fehlentscheidung würde das Ende jeglichen Lebens auf dem Planet Erde bedeuten. (Quelle: IPPNW)

Bearbeitungsstand: Februar 2007

siehe auch: Palomares

Atomwaffen A-Z