Atomwaffen A-Z

Algerien (Atomtests)

engl: Algeria (nuclear tests)

Am 13. Februar 1960 führte Frankreich in der zu Algerien gehörenden südlichen Sahara, in dem Gebiet um Reggane, dem Stammesgebiet der Tuareg seinen ersten Atomwaffentest (Code-Name: Gerboise Bleue) durch. Die Bombe hatte eine Sprengkraft von 70 KT (mehr als die 5fache Sprengkraft der Hiroshimabombe) Insgesamt wurden bis 1967 vier oberirdische und im Hoggar-Gebirge 13 unterirdische Atomtests durchgeführt.

Der unterirdische Atomtest am 1. Mai 1962 auf dem Versuchsgelände von In-Ekker, ca. 100 km südlich von Reggane, mit dem Decknamen „Béryl“, ist schwer misslungen: Die Explosion führte zu einer massiven Freisetzung von Radioaktivität und einer Massenpanik der Zuschauer des Tests. Etwa 100 Franzos*innen und eine unbekannte Anzahl von Algerier*innen wurden verstrahlt.

Dennoch wurden die Versuche bis in die Jahre 1966 bzw. 1967 fortgesetzt. Insgesamt hat Frankreich 17 Versuche in der Sahara offiziell zugegeben, tatsächlich wurden aber weitere 35 „ergänzende“ Versuche durchgeführt, so genannte „kalte Versuche“. Ihr Ziel war es, chemische Explosivstoffe an kleinen Mengen Plutonium zu testen, die pulverisiert und in der Umwelt freigesetzt wurden. Simuliert wurde auch der Absturz eines mit einer Atombombe bestückten Flugzeugs, wodurch große Flächen mit pulverisiertem Plutonium verseucht wurden. Durch die sporadischen Regenfälle dürfte die Radioaktivität auch in das Grundwasser geschwemmt worden sein, wo es sich in unterirdischen Wasserläufen unkontrolliert verbreitet. Die Grundwasser-Reserven unter der Wüste sind die Voraussetzung für das Überleben der Bevölkerung nicht nur in Algerien, sondern auch in den angrenzenden Sahel-Staaten.

Als Frankreich im Frühjahr 1964 die Region um Reggane verließ und seine Truppen nach In Ekker verlegte, wurde der Stützpunkt Hamoudia (20 km südlich von Reggane), wo die „heißen“ Versuche stattgefunden hatten, dem Erdboden gleichgemacht, die verbliebenen Reste notdürftig von Bulldozern mit Sand und Geröll bedeckt. Nun setzte eine wahre Wanderung von „Schrotthändlern“ ein, die z. T. aus weit entfernten Gebieten kamen, um metallische Gegenstände jeder Art auszugraben, einzusammeln und weiter zu verkaufen. Besonders gesucht waren Kabel, deren Isolierung an Ort und Stelle verbrannt wurde, damit das Kupfer verkauft werden konnte. Diese Ware gelangte bis auf Märkte in Marokko, Mali, teilweise sogar nach Europa.

Bis heute wurde nicht festgestellt, ob die Klagen der Bevölkerung über häufige Krebserkrankungen, die Zunahme von Missbildungen, taubstummen und blind geborenen Kindern, die Häufung von Fehlgeburten, Deformationen auch bei neugeborenen Tieren zutreffend sind. Die Produktion von Tomaten und deren Export nach Europa wie auch die Dattelproduktion, die hauptsächlich nach Niger und Mali exportiert wurde, sind zum Stillstand gekommen, weil die Pflanzen nicht mehr wachsen. Doch es wurden und werden keinerlei Untersuchungen durchgeführt, die eine kausale Relation zwischen diesen Veränderungen und der Verstrahlung belegen, nicht zuletzt fehlen Vergleichsuntersuchungen aus der Zeit vor den Nuklearversuchen.

Bis 2008 hatte die französische Regierung jede Diskussion über Entschädigungen mit der Behauptung abgelehnt, es habe sich um "saubere Versuche" gehandelt. Erst im November 2008 gab die französische Regierung dem Druck zahlreicher Opfer-Organisationen auch aufgrund einer wachsenden Zahl von Berichten und Untersuchungen nach und kündigte eine individuelle Entschädigung der Opfer an. In der Gesetzesvorlage ist allerdings keine Dekontamination der verseuchten Gebiete vorgesehen, so dass die dort noch immer vorhandene Strahlenbelastung bestehen bleibt.

Bearbeitungsstand: April 2022

Quellen:

Ruf w: Frankreichs strahlendes Erbe in der Sahara, 2009
Collin JM, Bouveret P: Radioactivity Under the Sand, Juli 2020
Barrilot B: Les Irradiés de la République. Les victimes des essais nucléaires français prennent la parole, Editions Complexe, 2003

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