Strahlenbelastung durch Atomwaffen
Lange Zeit wurde bestritten, dass die atmosphärischen Atombombenversuche in Nevada, im Pazifik, auf Novaja Semlja, in Kasachstan und anderswo irgendwelche gesundheitliche Folgen haben könnten. Doch inzwischen steht zweifelsfrei fest, dass die unmittelbar betroffenen Menschen, insbesondere die in Hauptwindrichtung lebenden (die so genannten »Downwinders«), unter einer Vielzahl von Krankheiten leiden und ein deutlich erhöhtes Krebsrisiko haben.
Seit dem ersten Atombombentest »Trinity«, am 16. Juli 1945 in Alamogordo in der Wüste Neumexikos in den USA haben die fünf Atomwaffenstaaten USA, Russland, Frankreich, Großbritannien und China 2.045 Atomwaffentests durchgeführt, davon 528 in der Atmosphäre und 1.529 unterirdisch. Zusätzlich führten Indien und Pakistan zwölf Tests durch.
Der Münchener Biochemiker Professor Roland Scholz hat anhand der Daten einer UN-Kommission und des Hiroshima-Institutes in der IPPNW-Studie »Bedrohung des Lebens durch radioaktive Strahlung« aus dem Jahr 1997 berechnet, dass allein die äußere Strahlenbelastung durch den Bomben-Fallout weltweit 3 Millionen zusätzliche Krebstote bis zum Jahr 2000 verursachen könnte. Hinzu kämen die Folgen der Inkorporation von Radionukliden durch Nahrung und Atemluft. Durch diese interne Strahlung könne es noch zusätzliche 30 Millionen Opfer geben. Bei seiner These stützte sich Scholz auch auf in den Vereinigten Staaten bekannt gewordene Informationen über die Ergebnisse einer Studie des Nationalen Krebsinstitutes (National Cancer Institute/NCI). Diese Studie belegt, dass es für Kinder durch die atmosphärischen Tests zwischen 1951 und 1962 (Zeitraum der oberirdischen Atombombentests in Nevada, USA) durch erhöhte Strahlenbelastung ein erhöhtes Schilddrüsenkrebs-Risiko bestand. Zudem gibt es darin Informationen über »Hot-Spots« (besonders strahlenbelastete Gebiete), die der Öffentlichkeit nicht bekannt gegeben wurden. Die Studie unterstützt die These von Professor Scholz, dass über die Nahrungskette die Zahl der Opfer bedeutend höher ist, als von offizieller Seite bisher angenommen. Ein Großteil der Belastung entstand laut NCI durch den Verzehr von mit Jod-131 kontaminierter Kuh- und Ziegenmilch, das die Tiere durch von Regen verseuchtes Gras aufgenommen hatten.
Im Jahr 2003 stellte die Europäische Kommission für Strahlenrisiken (ECRR) in ihrer Studie »The Health Effects of Ionising Radiation Exposure at Low Doses for Radiation Protection Purposes« im Jahr 2003 ebenfalls fest, dass herkömmliche Risikomodelle nicht das gehäufte Auftreten von Krebs und Leukämie in Bevölkerungen erklären, die radioaktiven Isotopen aus künstlichen Quellen ausgesetzt sind.
Die Kommission entstand 1998 als Antwort auf das von der »International Commission on Radiological Protection« (ICRP) entwickelte Risikomodell. Dieses Modell liegt vielen Strahlenschutz-Gesetzgebungen zugrunde. Rund 30 unabhängige Wissenschaftler arbeiten für die ECCR. Geleitet wird sie von Chris Busby, der in Großbritannien der Kommission für Strahlenrisiko angehört und das britische Verteidigungsministerium in Sachen angereichertes Uran berät.
Die ECRR-Wissenschaftler entwickelten in den letzten fünf Jahren ein neues Risikomodell. Es beruht nicht nur auf jüngsten epidemiologischen, sondern auch radiobiologischen Erkenntnissen. ECRR unterscheidet zwischen niedrigen radioaktiven Dosen, die über einen langen Zeitraum hinweg auf eine Bevölkerung wirken und hohen radioaktiven Dosen, wie sie etwa beim Atombombenabwurf im japanischen Hiroshima erzeugt wurden. Die Modelle der ICRP gehen jedoch von hohen, einmaligen radioaktiven Dosen aus.
Dass der bisherige Modellansatz der ICRP unzureichend ist, legen mehrere Studien nahe. So gibt es beispielsweise eine Diskrepanz um den Faktor 100 zwischen den Modell-Vorhersagen der ICRP und den beobachteten Leukämiefällen unter Kindern in der Gegend um die Wiederaufbereitungsanlage in Sellafield. Um den Faktor 100 bis 1000 unterscheiden sich gar die Ergebnisse zweier Studien aus Tschernobyl von den gebräuchlichen Modellen. Das ICRP-Risiko-Modell geht von dem Verständnis aus, dass man die Effekte externer und interner Strahlung sowie natürliche interne und menschengemachte interne Strahlung gleichsetzen könne. Alle diese Radioisotope sind aber komplett verschieden. Sie haben verschiedene chemische Aufnahmewege, unterschiedliche biochemische Affinitäten und zerfallen unterschiedlich. Der Ansatz der ICRP basiert fast ausschließlich auf den Untersuchungen der Überlebenden der Hiroshima-Bombe, die extern mit einer sehr hohen Dosis verstrahlt wurden. Er ignoriert jedoch die Belastung durch verstrahlte Gebäude und Fallout, der in einiger Entfernung vom Hypozentrum der Explosion niederging, was zu einer systematischen Unterbewertung der niedrigen Strahlenbelastung führt.
Laut ICRP sind zwischen 1945 und 1989 bislang 1,2 Millionen Menschen an Krebs aufgrund radioaktiver Einflüsse gestorben. ECRR geht hingegen von 61,7 Millionen Toten aus sowie 1,5 Millionen Kindern und 1,9 Millionen Babys, die bereits im Mutterleib sterben.
Die ECRR kommt zu dem Schluss, dass der Anstieg der Krebserkrankungen eine Folge des radioaktiven Fallouts der Atombombentests der Jahre 1957 bis 1963 ist, dem Höhepunkt des atomaren Testens. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Abgabe von Radioisotopen in die Umwelt im Rahmen ziviler Atomkraftnutzung in den letzten Jahren bald für einen weiteren Anstieg von Krebs und anderen Krankheiten sorgen wird. (Quelle: IPPNW, Juli 2005)
Bearbeitungsstand: September 2007
Siehe auch: Atomtest
Siehe auch: Dosis
Siehe auch: Trinity